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Über das Wunderbare

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Wenn ich mich frage, was es ist, das mir aus der Erinnerung meiner Kindheit immer klarer herauswächst, so wie das kleine Sternlein im Zuckerl, dessen süße Wand uns Kindern beim Genießen schmilzt und dieses Sternlein freigibt, so scheint mir, ist es das Wunderbare, das als wesentliche Nahrung einem zarten Kinderdasein so nötig ist und das seinen Platz im Natürlichen so selbstverständlich einnimmt.

So erleben wohl die meisten Kinder Weihnachten nicht nur der Geschenke wegen als schönstes Fest, sondern besonders deswegen, weil Engel um den Christbaum schweben und das Christkind selbst, wie man ihnen gesagt, die Geschenke bringt. Und daß es so ist, beweist mir immer wieder die Enttäuschung, die manche Kinder trotz ihrer Freude an den Geschenken erfaßt, wenn sie erfahren, daß es jie Eltern sind und nicht das Christkind, ‘dem sie diese Geschenke verdanken.

Und ich frage mich, ob nicht auch die Freude und das Entzücken der Kinder über den Schnee aus diesem Wunsch nach dem Wunderbaren gedeutet werden könnte? Wie ich selbst aus meiner Kindheit weiß, konnte kein Bild mit noch so strahlender Frühlingsoder Sommerfreude soviel Eindruck und Entzücken in mir erregen als alle Bilder, die den Winter im Scnnee zeigten. Die Wärme der Sonne, das Grün der Bäume und der Zauber der Blumen, das alles scheint sich in den Kindertagen von selbst zu verstehen, aber der Schnee, diese glitzernden Sternchen, darin ist etwas, was über das Natürliche hinaus die Kinder ergreift, und ich könnte mir vorstellen, daß die meisten Kinder, wenn sie die Landschaft im Himmelreich malen wollten, die Bäume aus dem Schnee heraus wachsen ließen, fruchtend in Äpfeln, Orangen und Zuckerspielereien. So hängt es durfte, über so manches sprach’. Und aus diesen Gesprächen war in ihm der Wunsch entstanden, die Leidensgeschichte Christi niederzuschreiben, und der Priester hatte diesem Bemühen von ganzem Herzen zugestimmt. Die Schrift war beendet und der Priester hatte sie mit sich nach Hause genommen; er wollte nach Lesung derselben den rechten Titel dafür finden. Als er am nächsten Tag die Zelle des Gefangenen betrat, in der Hand das Manuskript schwingend, und feudig ausrief: „Frohe Botschaft”, fiel der Gefangene tot zu Boden. Er hatte diesen Ausruf für die Kunde der Begnadigung genommen, während der Priester damit nur den Titel für seine Schrift gemeint hatte.

Das war so ungefähr der Inhalt des Buches. Für mich aber war Christus aus den Kindertagen für immer auferstanden in seiner Wahrheit. Meine ganze dumme Gescheitheit war beim Lesen dieser Leidensgeschichte Christi in meinen Tränen ertrunken, und von da an war ich wieder bereit für das Wunderbare, das aber genährt wurde vom ersten Keimen der Ahnung, der Ehrfurcht vor dem Leiden und dem Opfer.

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