Lisa Eckhart - © Foto: APA / Hans  Punz

Lisa Eckhart: Der Wolf unter Großmutters Haube

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Lisa Eckhart stand in den letzten Wochen ausgiebig im medialen Rampenlicht. Fegt man den ­Skandalfaktor beiseite, ­offenbaren sich dem Leser ihres literarischen Debüts „Omama“ romangewordene Lyrik und ein Pandämonium der Nachkriegsgesellschaft.

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Lisa Eckhart stand in den letzten Wochen ausgiebig im medialen Rampenlicht. Fegt man den ­Skandalfaktor beiseite, ­offenbaren sich dem Leser ihres literarischen Debüts „Omama“ romangewordene Lyrik und ein Pandämonium der Nachkriegsgesellschaft.

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Ein neuer Skandal im Sperrbezirk Literatur: Die erst durch Poetry Slams bekannt und dann durch Kabarett-Auftritte schon ein klein wenig berühmt gewordene Lisa Eckhart hat ihren ersten Roman geschrieben und wird prompt von einem Hamburger Festival erst ein- und dann wieder ausgeladen. Lisa Eckhart ist ein Pseudonym von Lisa Lasselsberger, die eine Kunstfigur erschaffen hat. Schon ihr perfekt inszeniertes Auftreten auf der Bühne signalisiert deutlich, dass das Publikum es nicht mit direkten Meinungsäußerungen, sondern mit einer auf satirische Entlarvung gerichteten Pose zu tun hat. Bei den Auftritten selbst funktioniert der Fiktions-Pakt. Doch wer auf dem Ross der Satire reitet, lebt immer in der Gefahr, missverstanden zu werden. Kurt Tucholsky hat einmal festgestellt: „Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.“ Für Österreich gilt es analog.

Auf metrischen Füßen

In diesem Fall saßen die Übelnehmer (einmal wieder) nicht nur auf dem Sofa, sondern nahmen wortreich Abstand. Aber der Literaturbetrieb hat funktioniert, die Vermittler der Literatur haben ihren Lesern die Gründe dafür genannt, weshalb die Veranstalter eines zweitklassigen Literaturfestivals dumm genug waren, kostenlose Werbung für den ersten Roman einer vielversprechenden Kabarettistin zu machen. Eigentlich hätte Lisa Eckhart nichts Besseres passieren können.

Vielleicht schafft es Lisa Eckharts herrlicher ­Furor dennoch, dass sich zumindest manche von einigen ihrer vielgeliebten Vorurteile ­verabschieden.

Der fast 400 Seiten lange Text liest sich wie romangewordene Lyrik, er läuft auf metrischen Füßen und spielt mit allem, was die Sprache zu bieten hat. Legionen von Alliterationen und Neologismen bevölkern eine Welt, die von gestern zu sein scheint und doch die Welt von heute ist. Es ist eine Welt voller unkritischer Mitläufer, selbst- und trunksüchtiger Männer und hinterfotziger Frauen, eine Welt, in der die eigenen Triebe nur dann mühsam im Zaum gehalten werden, wenn es gar nicht anders geht.

Der Roman beginnt mit der Geburt der Ich-Erzählerin, um dann zurückzublenden in das Jahr 1945 und die Jugend jener Großmutter, die nicht überfahren wurde. Wir lernen, dass „Großmütter bevorzugt auf kulinarische Kriegsführung setzen“, wenn es um die Enkel geht. Wenn ein Enkel geboren wird, also „verehrfertig“ ist, dann bleibt er oder sie „stets eine geschlechtslose Masse, eine identitätsleere Hülle, welche sie [die Großmutter] wie einen Spritzsack mit Kuchenteig und Liebe füllt, bis der Sack zu bersten droht“.

Nun hatte die Omama keine leichte Nachkriegs-Kindheit. Die kleine Helga „ist zaundürr“ und deshalb „klingen auch die Watschen so, wie wenn man einen Teppich ausklopft“. Die beiden Töchter Helga und Inge werden ab 1955 zum Nutzen der Eltern als Haushalts- und sonstige Hilfen eingesetzt. Das Kriegsende erscheint kaum als eine Zäsur, im Dorf in der Steiermark geht eigentlich alles so weiter wie bisher, nur eben ohne Hitlerbild an der Wand. Nachdem man „1938 den Deutschen Tür und Tor geöffnet“ hat: „Äußerst willig, wohlgemerkt“, schiebt man nun die Schuld den Deutschen zu, die zu hassen es keinen besonderen Grund braucht.

Helga schafft es, den Wirtshauserben Rudi zu verführen. Zwischen zwei Bissen Hirn macht er ihr so etwas wie einen Heiratsantrag und die Dorfhochzeit mutiert einmal mehr zu einem Pandämonium der Nachkriegsgesellschaft. Episodenhaft werden die nächsten Jahrzehnte gemus­tert. Nach den Busfahrten der Oma ins Paradies
der Schmuggelwaren (Ungarn) im Jahr 1989 und anderen Großereignissen kommt der Roman zum Ausgangspunkt zurück, zur Geburt der Ich-Erzählerin. Der Rest ist ihren eigenen ganz persönlichen Oma-Erfahrungen gewidmet und mutiert zu dem, was schon zu vermuten war – zu einer Liebeserklärung im Modus der Ruf­schädigung.

Österreichisch-morbider Schmäh

Das freche Debüt baut gleich auf mehreren Traditionen auf – der Tradition der kanonisierten Literatur (Anspielungen auf Märchen der Grimms gibt es ebenso wie auf Thomas Manns „Mario und der Zauberer“), der des politischen Kabaretts, der Tradition österreichischer Wortkunst-Literatur (hier wären so unterschiedliche Namen zu nennen wie Ernst Jandl und Werner Schwab, aber vor allem Elfriede Jelinek) und der des österreichisch-morbiden Schmähs ganz allgemein.

Dazu gehört auch die Tradition bitterböser Heimatlieder seit Georg Kreisler. Der Romantitel zitiert möglicherweise den ers­ten Song von Ludwig Hirschs ­legendärer Schallplatte „Dunkelgraue Lieder“ von 1978: „Die Omama“. Das lyrische Ich steht am Grab der Großmutter und zieht eine eindeutige Bilanz: „Sie hat mi gschlagen /So lang / Daß I schon angfangt hab zum Beten; / Lieb Jesukind / Laß d’Oma doch verrecken.“ Zum Schluss gibt der Bub der toten Oma den Rat, das von den Nazis verliehene und in Ehren gehaltene Mutterkreuz nicht mit zum Herrgott zu nehmen.
Ludwig Hirsch war Jahrgang 1946, Lisa Eckhart ist Jahrgang 1992. Erstaunlich ist, dass die Bilanz ähnlich ausfällt, auch wenn die Form des Romans eine viel differenziertere Sichtweise auf Omama und Nachkriegszeit zulässt. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass sich an den Ressen-timents und Sentiments (um einen witzigen Seitenhieb des Romans auf das große Vorbild Thomas Bernhard zu zitieren) in der Gesellschaft wenig geändert zu haben scheint.

Doch ist ebenso bemerkenswert, was sich geändert hat: Es ist nun nicht mehr die Stimme eines gestandenen Mannsbilds, dem man solche Blasphemie vielleicht noch nachsieht, sondern die einer gestandenen jungen Frau. Endlich machen die wichtigen Skandale nicht nur Kabarettisten, sondern auch Kabarettistinnen, die in der „männlichen Gesellschaft“ (Pierre Bourdieu) so lange gefehlt haben. Jung und weiblich – genau das wird aber auch ein wichtiger Grund für die Vorab-Kritik an Eckhart gewesen sein.

Wer nicht wissen will, dass unter der Haube der Großmutter (und nicht nur der Großmutter) immer auch der Wolf stecken kann, der wird mit dem Roman wenig anfangen können. Vielleicht schafft es Eckharts herrlicher Furor dennoch, dass sich zumindest manche von einigen ihrer vielgeliebten Vorurteile verabschieden. Satiriker sind im Grunde Optimisten, die hoffen, dass es nicht so weitergehen kann, wenn es so weitergeht. In den Worten des Romans: „Und auf die Zukunft zu vertrauen ist der beste Weg, sie zu verhindern.“

Der Autor Professor an der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz.

Omama - © Zsolnay
© Zsolnay
Literatur

Omama

Roman von Lisa Eckhart
Zsolnay 2020
384 S., geb., € 24,70

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