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Modenschau in Fontainebleau

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Fourier warf ihr eine Orchidee zu. Denise fing die Blüte geschickt auf und betrachtete sich im Spiegel. Sie wußte sofort, daß diese schwüle Äquatorialin sich nicht zu ihrem Gesicht und nicht zu der knabenhaft geschnittenen Nachmittagsrobe fügte. Fourier hatte es auch bemerkt. Er stand mit zusammengepreßten Lippen vor ihr. Mit einer nervösen Bewegung seines dürren Kinns befahl er ihr, diese Blüte fortzulegen.

Die Kritiker haben recht, dachte Fourier verbissen. Sie ist anmutig wie eine Gazelle. Er hatte nie eine Gazelle gesehen, aber er stellte sie sich vor als ein schmales, großäugiges Tier, elegant, rätselhaft, kapriziös, mit geschmeidig-starken Bewegungen. Er dachte: Jeder Gegenstand, den sie berührt, gewinnt unschätzbaren Wert. Er dachte: Sie wird einen Millionär heiraten und ein Schloß in Cannes beziehen.

Der Gong ertönte.

„Gehen Sie schon“, sagte er böse.

Sie ging. Sie ist enorm, dachte er und blieb mit einer Empfindung zurück, die sich anfühlte wie Scham.

Fourier, dachte Denise, ein kleiner, süchtiger Herrscher. Gescheit. Krank vor Habgier. Zivilisiert. Von der Angst zerfressen, der Erfolg könnte ihm untreu werden.

Sie trat hinter die Terrasse. Sie spürte hunderte Blicke wie Nadelstiche in ihrem Gesicht, an ihrem Körper. Ihre Nerven vibrierten. Hier ist Napoleon gestanden, verfolgt von der Glorie, die er jagte, dachte sie. Hier hat er sich dann vor St. Helena von seinen Garden verabschiedet. Die rauhen Soldaten weinten. Er schluchzte. Ob er sie geliebt hat, die Männer seiner Schlachten? Hier ist die ränkesüchtige Montespan gesessen mit Ludwig XIV. Hier hat Ludwig XV. die Dubarry geliebt. Hier hat Christine von Schweden ihren Stallmeister Monaldeschi hinrichten lassen. Jetzt stehe ich hier.

Ich, ich, dachte sie fröhlich.

Einige Treppenstufen unter ihr saß die Geldaristokratie.

Ah, mein Gott, warum weiß ich immer alles, was die Menschen denken, was die Menschen sind, dachte Denise. Sie vollführte die einstudierten Bewegungen, neigte den Kopf, ging mit jungenhaften Schritten die Rampe entlang.

„Ist sie nicht hinreißend?“ sagte die vertrocknete Konsulin, die unter dem Sonnensegel an einem der vorderen Tische saß. „Tatsächlich“, erwiderte der Gatte mit gelangweilter Stimme, entzückt und vorsichtig.

Die alte Kröte dort mit dem Einglas, dachte Denise, dieses gierige Maul, diese Runzeln und Falten, angefüllt mit scheußlichen Weisheiten. Sie versucht zu vergessen, daß sie die Figur einer Waschfrau hat.

Denise hatte das Ende der Rampe erreicht.

Ob sie zu haben ist? dachte der Konsul und gähnte. Natürlich, alle sind sie zu haben, es dreht sich nur darum, ob sie jetzt frei ist. Ich werde Fourier fragen.

Denise kam zurück.

Die alten Schöpse da unten, sie kugeln sich die Augen aus, dachte sie amüsiert. Sie glauben, weil wir für Geld hier oben spazieren gehen, daß wir für Geld zu allem bereit sind. Dieser vertrottelte General dort am dritten Tisch, er zielt mit seinem gelben Pferdegebiß herauf und bildet sich ein, er sei schön wie Apollo.

Sie lächelte

Die Konsulin starrte ihr haßerfüllt nach. Der Konsul hatte Atembeschwerden und wischte sich die Schweißperlen von der geröteten Stirn. Der General schneuzte sich enschlossen.

Kein nettes Gesicht da unten, dachte Denise. Kein Gesicht, das man liebgewinnen könnte. Warum ist das so? Sind sie nie jung gewesen wie Pierre und ich? O Pierre! Gut, daß Pierre das hier nicht sehen kann. Es würde ihn verrückt machen. Mein lieber Dummkopf. Wir haben uns so lieb. Wir sind bereit, füreinander zu sterben. Darauf kommt es an. Die da unten sind nicht bereit, füreinander zu sterben. Der Reichtum hat sie verdorben, das ist es. Das Geld hat sich auf die Dauer als stärker erwiesen. Pöbel. In der Gosse liegt der stinkende Pöbel, hier sitzt der duftende, der exklusive Pöbel. Da ist kein Unterschied. Diese Frauen mit den ausgeraubten Augen. Diese Männer mit den berechnenden Augen. Schade um sie. Sie sind doch auch Menschen. Sie waren auch einmal Kinder. Sie hatten auch einmal zerschundene Knie und schmutzige Hälse. Und Träume. Und jetzt? Sie sind gierig, das ist es. Man kann sie nicht ändern. Niemand kann sie ändern. Sie sind häßlich, weil sie gierig sind.

Denise hatte nur mehr wenige Schritte bis zum anderen Ende der Rampe.

Niemand kann sie ändern. Ob Jesus etwas ausrichten könnte, wenn Er hier stünde und zu ihnen redete? Nein, Jesus könnte nichts ausrichten. Nichts. Hier ist eine Grenze. Hier ist die Wand, von der alles abprallt. Die Wand, von der auch Gott abprallt. Das ist entsetzlich.

Denise vollführte mit den drei Tanzschritten, die Fourier immer an ihr rühmte, die Wendung vor der steinernen Brüstung, f ie zitterte vor der Ausweglosigkeit des Schicksals, der sie in ihren Gedanken begegnet war. Sie mußte ihre ganze Kraft zusammennehmen, um unbefangen in das Publikum blicken zu können, in diese zahllosen Gesichter, die ihr jetzt zusammenflossen zu einem einzigen ruchlosen, zu einem armen, gefolterten Antlitz.

Pierre — er sitzt an der Töpferscheibe. Er arbeitet mit den Händen. Er setzt die Scheibe mit dem Fuß in Bewegung. In seiner Werkstätte riecht es gut. Nach

Erde. In ihm ist mehr Gutes als in allen diesen Verlorenen zusammengenommen. Vielleicht ist es gut, daß wir arm sind. Es ist herrlich, daß ich ein Kind bekomme, f Ein paar Monate noch, dann nimmt die į Arbeit hier ein Ende. Dann werde ich i rundlich. Rundlich! Das ist lustig.

Fourier, der pathetisch auf die Terrasse Į getreten war, gab den Reportern ein Zeichen: sie kamen mit ihren Kameras nach vorne und photographierten.

Wir haben es schwer, dachte Denise. Aber das macht nichts, wir werden schon zu Geld kommen. Vielleicht werden wir sogar einmal reich. Ob ich dann auch so sein werde wie diese Menschen hier? So ausgebrannt? Ah, heilige Mutter Gottes, dann bleibe ich lieber arm. Bei Pierre und bei mir soll alles immer so sein, wie es jetzt ist. Das ist das Glück, so wie es jetzt ist. Ich wünchte, es bliebe so in alle Ewigkeit.

Denise stand jetzt in der Mitte der Terrasse. Ihr Auftreten neigte sich dem Ende zu.

Sie ist graziös, wie — wie… dachte erregt der Attache, der mit seiner bleichsüchtigen Cousine neben der Konsulin saß. Ihm fiel kein passender Vergleich ein.

Die Gazelle ist unbezahlbar, dachte Fourier, die Gazelle hat das Kleid unbezahlbar gemacht.

Diese Menschen hier suchen sich zu entkommen, dachte Denise. Sie haben Angst vor irgend etwas. Ich sehe ihnen an, daß sie Angst haben. Unter ihrem Hochmut, unter ihrer Gepflegtheit nichts als Angst. Angst wovor? Vor sich? Ich habe keine Angst. Ich liebe Pierre, meinen Mann. Ich liebe das Kind. Ich liebe auch diese Menschen da. Alle? Jesus, ja: alle!

Denise hatte einen Sekundenbruchteil lang die Empfindung, daß sie diesem Publikum etwas zurufen müßte. Etwas sehr Wichtiges. Einen Satz, der mitten ins Herz trifft.

Ihre Augen schimmerten, als sie sich von den Gesichtern fort zum Portal wendete.

Graziös wie — wie… dachte der Attache. Ihm war noch immer kein passender Vergleich eingefallen.

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