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Puccinis letztes Wort

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Es war frühester Frühling. Noch ferne das Datum, das die Ströme der Ferienreisenden entfesselt, Italiens Straßen gehörten den Italienern. Geschlossen die Gaststätte, menschenleer die Gartenanlagen und die Terrasse, die später dort geschaffen wurden, wo einst im Schilf des san-. digen Ufers das Boot lag, mit dem Puccini auf Entenjagd fuhr. Torre del Lago, das heute den großen Namen trägt: Puccini, und den alten, unbedeutenden nur noch in Klammem hinzugesetzt. Die kleine Jugendstilvüla mit dem großen blühenden Charten ist es, an der wir von Viareggio kommend, achtlos vorbeigefahren waren. Nur wenige Schritte. An der Gartenpforte hat sich ein junges französisches Ehepaar eingefunden, und über den Kiesweg nähert sich, ein wenig humpelnd und nicht ohne natürliche Würde, ein Kriegsinvalide, der die Führung übernimmt. Der Garten blüht, es ist sehr still.

Bestürzend ist es, ebenerdig durch eine Glastür zu treten und, noch vom Sonnenlicht geblendet, vor dem winzigen Schreibtisch zu stehen und vor dem Pianino mit der offenen Tastatur, im innersten Zentrum des Schaffens. Nur einer Vierteldrehung bedurfte es, um vom angeschlagenen Klavier zum Notenblatt hinüberzuwechseln, und die Arbeitsstätte trägt unverwischt noch heute alle Spuren der raschen, oft fieberhaften Bewegung. Die Löschblattunterlage ist aufgerauht, eingerissen, verschoben, von Tintenspuren übersät, die aussehen, als wären sie von gestern. In der Ecke, ganz nahe, die Sitzgarnitur und der Tisch, an dem die Freunde Karten spielten, die Freunde, deren Stimmengewirr und deren unbeherrschte Zwischenrufe der Meister als Stimulans brauchte für die ersten Takte seiner „Boheme“. Ein Wandschirm, ein nicht mehr zu überbietendes Jugenstilmonstrum, das eigentlich gar nicht wahr sein und unglaublicherweise der Perlmuttereinlagen wegen zugleich eine Kostbarkeit ersten Ranges sein dürfte, ist die Dankesgabe des japanischen Kaiserhauses für die „Butterfly“. Welche Enge, welche Fülle!. Wie ist es möglich, daß so viele kitschige Einzelheiten ein Ganzes ergeben, dessen Unmittelbarkeit und Kraft fast den Atem raubt?

Ich wußte, daß Puccinis Sarg in der Mauer hinter dem Klavier bestattet ist und harrte des Kommenden daher nicht ohne Beklemmung. Doch auch hier erwies sich die Wahrheit als unbefangen und sehr schlicht, der Geist des Orts als der mächtigere.Das einstige Schlafzimmer, das an die Arbeitsstätte anschließt, ist in eine ruhige und ernste Kapelle umgewandelt, Inschriften an den Wänden bezeichnen die Ruhestätte der Gattin, des Sohnes und, dem Klavier im Nebehraum zunächst, des Meisters.

Nur noch wenige, sehr schmale Räume. Einer davon ist tapeziert mit Photographien von Sängerinnen. Unsere Jeritza als „Tosca“, als „Mädchen aus dem Goldenen Westen“. Irgendwo auch Puccinis Tante, die Nonne, die in Tränen ausbrach, als er ihr „Suor Angelica“ im Kloster vorspielte. Merkwürdig: nur „Gianni Schicchi“, dieses vollendetste, scharf geschliffene Juwel, hat hier keine Spuren hinterlassen. Spuren mit Unterschriften und hingebungsvollen Widmungen hinterließen viele Frauen und fast alle sind schön. „Und nun“, sagt unser Invalide (wir haben uns auf Italienisch geeinigt) „und nun zur zweiten großen Leidenschaft Puccinis, zur Jagd!“ Davon ist freilich nicht viel geblieben. Die Flinten, das Fischzeug und die Wasserstiefel, aufbewahrt im letzten und engsten Raum. *

Gartenseitig ans Haus gebaut, ein kleiner Weiheraum. In Vitrinen die verblichenen Lorbeerkränze und die Auszeichnungen. Der Invalide weiß, was sich gehört und weist auf die legion d'honneur und auf den Franz-Josephs-Orden erster Klasse. Dann aber die letzte Vitrine: die Zettel, die von Puccinis Sterbelager herabglitten, die in der Agonie geschriebenen: „Der Eingriff hatte, scheint es, keinen Erfolg. Ärmster, der ich bin!“ Einiges läßt sich kaum noch entziffern, Notenköpfe und wirre Linien. „Trombe!“, steht unter leeren Notenlinien. Der Schluß der „Turandot“ — er wußte ihn, er hörte ihn. Für uns blieb er Geheimnis. Der sterbende Puccini nahm die Melodie mit sich hinüber, die alles übertreffen sollte, übertreffen mußte, sogar das Duett der Rätselszene „Gl“ enigim sono tre, la morte e una — no, no, una e la vita!“, die Melodie, die das Eis zerbrechen, an der Turandot, „princi-pessa di gelo, principessa di morte“ verwandelt werden sollte. Und es ist gut so.

Nicht der Triumph des unbarmherzigen Eros sollte das letzte Wort sein, sondern der Opfertod der Sklavin

Liü. Mit Liü starb Puccini, mit dem Verhauchen einer einsamen Flöte und mit der Pause, die folgt. „Liü dolcezza, Liü amore.“ Mehr und Tieferes konnte und durfte nicht gesagt werden.

Die junge Französin wendet sich um. „C'est emouvant“, murmelt sie, „mais c'est sublime quant-meme“, und sie schämt sich nicht ihrer Tränen. Schweigend kehren wir zurück zum Gartentor, der Invalide schließt auf. Er hebt den Kopf: „Puccini morto — finita la bella musica“, sagt er, und niemand wagt, zu widersprechen. So viel Stolz, so viel bedingungsloser Glaube zwingt zur Ehrfurcht.

Die Franzosen sind gegangen. Einsam die Terrasse, bewegungslos der See, blühend die Gärten. „Liü dolcezza.“

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