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Rampenlicht

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Die scharfen Schlagschatten, die über Chaplins Filmen nach „City Lights“ liegen, können die Stellung, die Mann und Werk in der Geschichte des Films einnehmen, verdunkeln, aber nicht verschwinden machen. Von den Gesetzen der englischen Bühnenpantomime spielend leicht (bei aller bitteren äußeren und inneren Not des Hollywoodbetriebes) zum Prinzip des Films hinüberwechselnd, prägte er in den Jahren während des ersten Weltkrieges und noch gültiger in der Nachkriegszeit den Typus des modernen sozialen Märchens, des aus uralten europäischen Traditionen erneuerten und tragisch-sentimental abgewandelten Hanswursts und des idealen Ein-Mann-Filmers: des souverän über Geld und Atelier, Kunst und Absatz gebietenden Autors, Regisseurs und Hauptdarstellers, nicht selten auch Kameramannes, Musikers und Gagmans. So bleibt sein filmischer Ur- und Vollblutinstinkt auch heute noch das Leuchtfeuer auf tausenden Irrfahrten des Ton-, Färb- und Dimensionfilms, die ihre Probe noch zu bestehen haben.

„Rampenlicht“ ist also heute noch für uns nicht ein bloßes Ereignis, das Chaplin-Filme seit nahezu 40 Jahren immer sind, sondern ein Prüfstein — für Chaplin, für der Film, für uns.

Dazu kommen noch Umstände, die diesen Film zu einem richtigen Problem machen. Es ist der erste Film des heimatlos Gewordenen, es ist eine Absage an die politischen Fanfaren der letzten Filme, eine Rückkehr zu alten Stoff- und Stilprinzipien, die stellenweise bis zu Eigenzitaten aus dem goldenen Zeitalter reicht, und zugleich ihre Revolutionierung, die sich Schon äußerlich in der Wiedergabe des Namens Charles — nicht Charlie — spiegelt. Vielleicht, vielleicht ist es auch ein — Schwanengesang...

Denn über „Rampenlicht“ liegt nicht die Reife, aber alle Düsterkeit, Vergrübeltheit und Verbitterung eines Alterswerks. Die Gestalt des heiterwehmütig verzichtenden ewigen Vagabunden ist riesengroß in grauenvolle Resignation und Untergangsstimmung verzerrt: der Clown Calvero, der vielleicht noch über sein Herzweh, nicht aber über seinen eigenen Schatten (den alkoholuntergrabenen lebenden Leichnam) springen kann, watschelt nicht wie ehedem wehmütig-froh in alle Ferne, „über seiner Mütze nur die Sterne“, sondern stirbt und fällt, ein ausgebranntes Häuflein Asche, ins „Universum“ zurück, von dem er zeitlebens so wortreich seine Schein-Kraft abgeleitet hat. Mit diesen banalen, nebulosen und stellenweise zynischen Meditationen, mit denen dieser Film überladen ist (eine Todsünde wider den Geist Chaplins selber, der ja immer wortkarg, Bild, Symbol, Ausdruck gewesen istl), begibt sich „Rampenlicht“ aller metaphysischen (dritten) Dimension, die frühe, stumme Chaplin-Filme so vielsagend, hintergründig und bedeutend hat erscheinen lassen. Dieser Film hat kein weises Lächeln, er zeigt vielmehr eine verzweifelte, trauervolle Grimasse; stellenweise blitzt die Erinnerung an Jannings' dämonischen Professor Unrat auf, der mit seinem schauerlichen Kikeriki-Ruf sich, die Menschen und vielleicht auch Gott wecken will — und im nächsten Augenblick in den ewigen Schlaf sinkt.

An einer Stelle des Films freilich erhebt sich der Löwe noch einmal, zeigt die Pranke, die Klaue, und siehe da: sie ist lustig und scharf wie nur je. Da rollt eine unendlich komische Szene über die Leinwand, ein Sketch-Duo mit Geiger und Pianist, mit zerfetzten Saiten und zertretener Violine, mit Füßen, die wachsen und wieder verschrumpfen. Da ist es wieder — das befreiend dröhnende Lachen im Kino. Aber im nächsten Augenblick gefriert uns das Lachen: denn, gerade dieses Komische bringt den Tod. Es war kein Sieg mehr, nur eine Niederlage. Es war ein letztes Aufflackern und Aufzischen. Die Flamme brennt nicht mehr. Es ist nur noch ein Rampenlicht.

Hat sie die Zeit gelöscht, Hollywood, McCarthy? Oder ist Charlie zum Charles zerbrochen am Tod des Stummfilms, der Pantomime?

Du mußt kämpfen, leben, sagt er im Film. Er hätte kämpfen müssen, toben, lachen — gegen den Irrweg des Films. Nicht murren und schwätzen. Sie hätte, steht irgendwo bei Stefan George, singen sollen, nicht reden, diese Stimme. Roman H e r 1 e

F i I m s c h a u (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich), Nr. 9, vom 5. März 1955: III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Rampenlicht“, „Tanganjika“ — IV (Für Erwachsene): „Die Intriganten“ — IV a (Für Erwachsene mit Vorbehalt): „Der Schürzenjäger von Venedig“, „Ingrid, die Geschichte eines Photomodells“, „Ehesanatorium“.

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