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Reiner Sprachgenuß

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Ich heiße Tristan Smith. Ich bin in Efica geboren”. So stellt sich ein 23jähriger höflich vor, der sein Leben mitteilenswert hält. Sofort zeigt sich das Talent des jungen Mannes: man hört ihm zu. Und geschickt holt er im zweiten Satz aus: „Sie müssen ein wenig über mein Land wissen.” Es ist ein Phantasieland „Efica” auf der Südhalbkugel, ehemalige Kolonie, mit eigener Zeitrechnung, sie schreibt das Jahr 421. Dazu ein nördliches Kontrastland, wirtschaftlich und strategisch weltweit dominant. Die Chiffrierung ist durchsichtig, der Autor ist Australier und lebt in New York. Der Schauplatz ist also Nord und Süd von heute, die Fiktion ist nur die nötige Verfremdung, um die Gegenwart schärfer wahrzunehmen. Technische Utopie reizt den Autor wenig: mehr als Lasertechnik, Holo-grafie und Abhörwanzen braucht er nicht.

Die Welt des Tristan ist das Theater: eine Schmiere mit einer traditionellen Zirkus-Show des Südens, aber auch Brecht und Shakespeare. Theaterleben wie überall und allezeit: man ist unheilbar süchtig nach der Droge Publikum, man erfährt Höhenräusche wie Abstürze. Und zeitlos ist dieses Theater auch politisch. Es führt einen verwegenen Kampf gegen die Mickeymauskultur des Nordens, ständig bedroht durch die Geheimdienste der Supermacht. Kulturimperialismus drängt in die Intimität vor, bis hin zum Mord an der Mutter Tristans, sobald sie als Prinzipalin der Staatsmafia gefährlich wird.

Der kleine Tristan zwängt sein besonderes Leben in diese gespannte Welt hinein: er kommt schwer behindert auf die Welt, gesichtslos, krüppelbeinig, und kann später kaum verständlich sprechen. Aber die Mutter und ihre drei Liebhaber kümmern sich innig um ihn. Der Kleine wird geliebt trotz seines Eigensinns, er wächst, entgegen aller Lebenserwartung, heran und übersteht auch Katastrophen wie den Tod der Mutter sowie den Buin der Theatertrup-

Auch innerlich durchfährt er alle Tiefen: die Scham über seine Häßlichkeit, den Schmerz, da ihm die Schönheit der anderen unerreichbar bleibt, die Ausgeschlossenheit von Partnerliebe. Doch stellen sich nicht Wut oder Zerstörungslust ein, sondern die erfahrene Liebe ist wie ein Nährstoff in ihn eingesickert und treibt Blüten einer zarten Melancholie. Er lernt, „Vergnügen nur aus dem stärker werdenden Druck, aber niemals aus der Freigabe zu ziehen”. Er wird kein Ekel wie Oskar Matzerath, sondern übt zäh auf eine Zirkusrolle hin. In einem einzigen traumhaften Auftritt vor einem Zufalllpublikum kann er sein Talent zeigen. Das reicht als Selbsterfahrung, als Initiation: jetzt weiß er, daß er fliegen kann.

Das Buch ist ergiebig in vieler Hinsicht: als Entwicklungsroman, als Po-lit-Thriller, als Fantasy-Roman. Und als Behinderten-Geschichte. Als solche ist es ein Hoffnungsbuch für alle vergleichbar vom Schicksal Aus-gezeichneten. Und zuletzt: Das Deutsch der Übersetzung ist ein reiner Sprachgenuß.

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