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Reisebuch aus den österreickiscnen Alpen

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Motiv

Ich reise aus, meine Heimat zu entdecken.

So ist's mit uns: Unglaube gegen uns selbst ist zutiefst in uns verwurzelt, was andern selbstverständlich, ist uns Problem: ob wir daheim sind, wo wir geboren.

Zusammengebraut aus verschiedenstem Blut, mit vielem begabt, doch mit Zweifel zumeist, irren wir hin und her, suchend uns selbst und die Heimat und kennen am Ende fast alles, nur nicht das Land, dem wir gehören.

So reis' ich aus der Stadt, in die Berge, die in mein Fenster schauen und den Horizont unserer Tage freundlich umschließen, neugierig, ob ich's finde: mein Vaterland.

Wetter

Unverbindlich ist das Wetter in den 'Alpen,

Nicht bequem und nicht dem Wunsch des Reisenden entgegenkommend.

Unverläßlich wie ein Lieferant, wechselt es von Stunde zu Stunde, vola Tal zu Tal.

Niemals läßt es uns vergessen, daß wir in einer unwirtlichen Zone hausen, daß unser Leben nur ein halbes Leben ist, weil ihm die ewige Sonne fehlt

Geduld, Geduld wird hier gelernt, wenn wieder und wieder sich die Berge in die grauen Schleier hüllen und der stille Regen niedertropft.

Dann wird es plötzlich hell des Abends, man ist des schönen Morgens sicher — doch in der Frühe regnet's wieder ..

Friedhof im Gebirgsdorf

Selbst die Toten in dem kleinen Kirchdorf müssen noch bergabwärts liegen, weil der karge eb'ne Boden den Lebenden dienen muß.

So ist sogar die letzte Ruh' ein halbes Stehn und hart und mühsam, wie das saure Leben war.

Auf der Gräber dürrer Glatze picken mag're Hühner, an den Kreuzen trocknet Kinderwäsche.

Und nicht einmal „ewig“ ist die so gestörte Ruhe, denn nach zehn Jahren wird, was blieb, von neuem ausgescharrt, denn in die Grube drängt der frische Leichnam.

Im düst'ren Beinhaus wird sodann das lockere Skelett zerrissen, die kahlen Schädel liegen oben, unten wirr in Haufen das Gebein.

Gegen fünfzig Groschen Eintritt könnt ihr euch die Reste anschau'n, und so arbeiten auch noch die Toten.

Wie muß einst Auferstehung sein in diesem Tal der Schmerzen, wenn all die stumm ertrag'ne Not empor sich reckt und diese Toten ihre Gräber aufsprengen, und die Riesenleichensteine, diese ewigen Alpen, einstürzen?

Verwirrt stolpert man ins Sonnenlicht und versteht, daß auch die Lebenden hier nicht sehr lustig sind.

Heimkehr

So trägt der schnelle Zug mich wieder heimwärts, die Reise ist zu End'.

Die schnellen Felder fliegen uns vorbei,

Wald, Städtchen, Burg und Kapelle, und von neuem empfind' ich den Schmerz der Vergänglichkeit. Bald wird es klar: Jedes Ziel ist ein neuer Anfang, und so werd' ich wieder reisen und will es gerne tun. Doch möge mir vergönnt sein, eine Heimat dann zu finden, wenn ich wiederkehre. Möchtest du, unser schönes Land, mir Heimat sein! Liebes Vaterland?

Abdruck mit Genehmigung der Universal-Edition, Wien.

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