6643665-1958_10_15.jpg
Digital In Arbeit

Sterne in freudloser Gasse

Werbung
Werbung
Werbung

Das Jahr 1925 wiegt schwer in der Filmgeschichte. In Chaplins „Goldrausch“ gipfelt das soziale Märchen des Westens, in Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ erklingt die Sturmetüde des Ostens. Der deutsche Expressionismus geht, seit Robert Wienes „Kabinett des Dr. Caligari“, mit vollen Segeln ins sechste Jahr.

In diesem Jahr dreht der damals schon 40jährige Georg Wilhelm Pabst, Sohn eines Wiener Beamten, aber in Böhmen geboren, nach 15jähriger unsteter Wanderschaft als Schauspieler und Bühnenregisseur in der Schweiz und in New York, seit 1921 wieder daheim, in Berlin „Die freudlose Gasse“, eine bedeutende Etappe im deutschen Film, in der nicht nur Pabsts ehrenvolle, bisher 33 Filme umfassende Laufbahn anhebt, sondern sich auch die Leuchtspuren mehrerer Mitarbeiter von Weltrang wunderlich kreuzen: des „medizinischen Beraters“, nachmaligen Ufa-Kulturfilmchefs Nicholas Kaufmann, der Kameraleute Guido Seeber und Curt Oertel und der Darstellerpersönlichkeiten Asta Nielsen, Greta Garbo, Werner Krauß, Grigori Chmara und Marlene Dietrich. Pabst selbst war damals auch im Film kein unbeschriebenes Blatt mehr. Er hatte 1921 im Bunde mit Carl Froelich eine eigene Filmgesellschaft gegründet, unter Froelichs Regie in einem Film („Im Banne der Kralle“, 1921) als Schauspieler, in zwei Klassikern („Der Taugenichts“ und „Luise Millerin“, 1922) als Drehbuchautor und Regieassistent gewirkt und schließlich selber zwei Filme inszeniert, 1923 „Der Schatz“ und 1924 den Henny-Porten-Film „Gräfin Donelli“. Um die aufgehende Sonne Pabsts kreisen in der „Freudlösen Gasse“ drei sehr unterschiedliche Gestirne: der aufgehende Stern Greta Garbos (nach „Peter, der Vagabund“ und „Gösta Berling“), der sanft sich neigende Asta Nielsens und das noch im Dunkel kreisende Sternchen Marlene Dietrichs (es wird erst fünf Jahre später, am Premierenabend des „Blauen Engel“, dem 31. März 1930. explosionsartig aufleuchten).

Der deutsche Expressionismus, wohl die schöpferischeste Epoche der deutschen Filmgeschichte (etwa 1919 bis 1927) schwelgt in Magien: des Lichtes und bizarrer Bauten, des Gruseins und Grauens, der Massen, Mädchen und des Mitleids. Er entdeckt auch die Magie der Straße, von Paul Lenis und Leopold Jeßners „Hintertreppe“, 1921, über Karl

Grünes „Die Straße“ und Bruno Rahns „Dirnentragödie“ bis Joe Mays „Asphalt“, 1928. Hierin ist Pabsts Film ganz ein Kind seiner Zeit. Er hat, wie Walter Reischs „Episode“ die „Moral“ der Wiener Inflationszeit, in Bettauers Kolportageroman ihre „Architektur“ aufgespürt, ihre Gassen und Hintertreppen, Winkel und Perspektiven, vor allem aber die •denkwürdige Schlange vor dem Geschäft. Schiebertum, Mord und Prostitution sind von einer eigentümlich schmerzlichen Passivität und einem tragischen Pathos verhangen, das in den Gesichtern Greta Garbos und Asta Nielsens ergreifenden Ausdruck findet.

Da man in diesen Tagen in einer verdienstvollen Wiederaufführung durch das Oesterreichische Filmarchiv die „Freudlose Gasse“ wiedersah, empfand man die pittoreske Verzerrung einer aus den Fugen geratenen Zeit fast schmerzend stark, trotz allen Stilveralterungen und dein Jammerzustand der Kopie.

Einem harten Manneskonflikt, dem wehrlosen Menschen im Niemandsland zwischen den mächtigen Geheimdiensten des zweiten Weltkrieges, gibt der deutsche Film „Der Fuchs von Paris“ von Stoff, Regie (Paul May) und Darstellung her (Hardy Krüger, Martin Held, Marianne Koch) ein ernstes Profil; der beste Film der Woche.

Kontur empfängt auch die anspruchslose Rattigan-Störy in der stummen englischen Operette „Der Prinz und die Tänzerin“ durch die ungewöhnliche Besetzung mit Sir Laurence Olivier und Marilyn Monroe. „Drei Töchter E v a s“, ein Episodenfilm, überschreitet in den beiden letzten Teilen wohl auch die dem französischen Film im allgemeinen konzedierte sexuelle Narrenfreiheit; traumhaft schön die erste Episode von der hoffnungslosen Liebe einer Farbigen.

Deutschland präsentiert mit leidlichem Erfolg Revue und Musik: „Casino de Paris“ und „Wenn Frauen schwindeln“, Amerika: Politik, mehr heiter und wieder todernst („Schöne Frauen — harte Dollars“ und i,D e r Mann, der herrschen wollt e“), technische Sensation („V ersuchsmaschine CB5“) und unsterbliche Groteske: Red Skelton in „R i n d-vieh Nr. 1“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung