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Um drei Uhr

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Um drei Uhr fand sich ein innerlich erregtes, nach außen ruhiges Auditorium zu einer noch nie gesehenen Veranstaltung zusammen: Zu einer Demonstration für die österreichische Kultur.

Um drei Uhr begann die Pressekonferenz eines Oesterreichers, auf der der Wiener Presse Bilder von einer von Europäern noch nie gesehenen Gegend gezeigt wurden: von Teilen Nepals, die er als erster Weißer betrat.

Nepal ist auf dem Globus ein kleines Land, aber um von irgendeinem Zipfel dieses Landes in die Hauptstadt zu kommen, muß man eine Reise von drei Wochen machen. Zu Fuß. Nur so ist es zu verstehen, daß Tichy einen Mann traf, der ihm nicht glauben wollte, daß es den Künstlern und Gelehrten in Europa nicht immer und überall gut geht. Der Mann spricht Englisch. Kein gewöhnliches Englisch — er spricht ein waschechtes Shakespeare- Englisch. So selten er nämlich Gelegenheit hat, mit jemandem Englisch zu sprechen, so gern liest er Shakespeare.

Im Volkstheater zu Wien wird gerade, zum x-ten Male, das Zwanzigpunkteprogramm verlesen, das eine Erhöhung der Dozentengehälter, eine bessere Dotierung der Kultur und mehr Rücksicht bei der Steuer fordert. Den meisten Leuten ist dieses Programm neu, denn es ist so alt, daß man seine Existenz bereits vergessen hat.

Shakespeares eifriger Leser in Nepal hat dieses Programm aus begreiflichen Gründen nicht zu Gesicht bekommen. Vielleicht würde ihm die Forderung der österreichischen Lehrer, man möge ihnen endlich soviel bezahlen, daß sie davon auch leben können, einen Schock versetzen. Vielleicht würde sie ihm eine Illusion rauben, in ihm eine Welt zum Einstürzen bringen. Die Illusion, daß es ein Märchenland gibt, in dem … na, Sie können sich sicherlich denken, was er sich vorstellt, wenn er von Europa denkt.

Denn, um Lehrer zu finden, denen es schlecht geht, braucht er Nepal nicht zu verlassen. Ob es dort ein modernes Schulwesen gibt? wurde Herbert Tichy, der österreichische Forscher, während der Pressekonferenz gefragt. Sicherlich, meinte Tichy trocken.. Sonst hätte ihm doch nicht ein nepalesischer Lehrer in bewegten Worten geklagt, wie wenig Gehalt er bekommt.

Die Spitzen und Leuchten der österreichischen Kunst und Wissenschaft treten gerade aus dem Volkstheater, um zu demonstrieren. Die Journalisten verabschieden sich von Dr. Tichy. Was mag sonst noch passieren in dieser einen Stunde? Irgendwo in Wien ersucht vielleicht ein Lehrer gerade seinen Schuster um Kredit für einen Doppler. Ein Fußballstar schaukelt in einer Superjacht über die österreichische Landstraße. Und Tichys Bergführer Pasang zieht vielleicht gerade den Vorhang vor das Zimmer des Flugzeugs und lehnt sich zurück. Denn er reist vielleicht gerade zu einer Expeditionsbesprechung und Pasang nimmt immer das Flugzeug. Schließlich verdient er mehr als sein armer Tichy- Sahib. Unterschied zwischen schwarz, weiß, braun, gelb oder rot? Aber wo, meine Herren.

Post aus Schilda

„Das Schreiben vom 18. Jänner hat mich erst vor wenigen Tagen, kurz vor meiner Abreise von S. erreicht, weil die Post das Flugporto ungenügend befunden hat und, statt den Brief zur Portoergänzung zurückzusenden, ihn mit Schiff befördert hat." So schrieb uns unter dem 18. März unser derzeit auf einer Weltreise befindliche USA-Korrespondent aus Sidney. Sein Brief traf hier am 23. März ein — da er nicht in Schilda aufge- gegeben war.

Die Wurzel solcher Mißleitungen ist ein Problem, das ein wenig an die peinvolle Sorge des Mannes erinnert, der sich täglich vor die Frage gestellt sah, ob er seįnen Rübezahlbart ober oder unter der wärmenden Bettdecke zur Ruhe legen solle. Wird nämlich ein Brief vor seiner Frankierung postämtlich gewogen und genügend leicht befunden, so kann es geschehen, daß er nach eben dieser Frankierung um jenes Gran zu schwer ist, das ihn dem nächstfolgenden Postamt zum Stein des Aergernisses werden läßt. Die Folge: Der Brief reist per Bahn, Diligence, Schiff, Autobus usw., nur nicht per Flugzeug. Nun, das hätte der Absender gleich billiger haben können. Die Frage: Was geschieht mit der nutzlos vorausbezahlten Portodifferenz?

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