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Von der großen Passion zum Quartett

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J. S. Bachs „Johannespassion“, das ältere der beiden großen Passionsoratorien, voller dramatischer Größe, doch ungleicher in der unmittelbaren Wirkung der einzelnen Teile, stellt schon dadurch an die Ausführenden persönlichere Anforderungen als die ausgewogenere „Matthäuspassion“. Die große „Person“ de Chores (Singverein) entsprach diesen Anforderungen in höherem Maße als die sieben und mehr Gesangsolisten, von denen Hermann Prey (Christus), Herta Töpper (Alt) und Heinz Holecek (Pilatus) im Bachschen Stil die besten Leistungen boten, während Waldemar Kmentt der schwierigen Aufgabe des Evangelisten nur einigermaßen gerecht wurde. Der Dirigent Karl Richter vermochte immerhin eine einheitliche Stimmung, vor allem jedoch dramatische und menschlich bewegende Steigerungen zu schaffen, wobei ihm das Orchester der Wiener Symphoniker und die instrumentalen Solisten treue Gefolgschaft leisteten. Die gesangliche Differenzierung der Choräle ist schon deshalb zu begrüßen, weil sie sich vom unbedingten For-tissimo vergangener Aufführungen wohltuend entfernt.

Das Wiener Kammerorchester brachte unter Leitung von Edgar Seipenbusch „Musik der Ersten Republik“. Das bedeutendste Werk des Programms war unstreitig Ernst K r e-neks Violinkonzert op. 29 (Solist Josef Sivo). Obwohl dieses Konzert, 1924 komponiert, für den heutigen Stil des Komponisten nur bedingtes Zeugnis ablegt, ist es doch echter, impulsiver Krenek, geistig und musikantisch zugleich, packend und von überzeugender Wirkung. Ahnliches ist mit Abstand zu sagen übet die 1922 entstandene Komposition von Hanns Jelinek „Präludium, Pas-s a c a g 1 i a und Fuge“, der ersten Veröffentlichung des damals 21jährigen Komponisten. Auffüllung (vollkommen beherrschter) überkommener Formen mit neuen Gedanken ist anregend pürbar und deutet eine (inzwischen längst eingetretene) persönliche Entwicklung an. Neben diesen Werken erklangen die der Diskussion bereits enthobenen Stücke aus der Lyrischen Suite von Alban Berg und Fünf Lieder für Sopran und Streichorchester des Altmeisters Joseph Marx, gesungen von Elisabeth Jungblut, sowie die Zweite Tanzsuite von Josef M. Hauer, die trotz der Richtigkeit der im Programmheft genannten Eigenschaften (antithematisch, antikontra-stisch, antiaffektisch) oder vielleicht gerade wegen dieser Eigenschaften als antilebendig empfunden wird.

Als überaus lebendig dagegen wurden die von Julius Patzak und Elfriede Ott gesungenen und von Erik W e r b a am Klavier nachinstrumentierten „W i e-ner Komödienlieder“ empfunden. In Couplets von Kaiser Leopold I. bis Wenzel Müller kam das echte Wien zu Wort und Ton, nicht Allerweltsmusik, sondern richtige Heimatkunst. Diese Lieder verlangen Geste und Spiel, die dem Wiener Früchterl Elfriede Ott in überzeugender Art zur Verfügung standen, während Patzak mehr die geistige Linie zog, den pessimistischen Hintergrund des Humors (oder den humorigen des Raunzens) aufleuchten ließ. Das Publikum fühlte ich daheim und erzwang einen ganzen Strauß von Zugaben.

Überzeugender künstlerischer Ernst und Dienst am Werk spricht aus dem Spiel des Vegh-Quartetts, das mit drei grundverschiedenen Stilen wie je einem Quartett von Haydn, Beethoven und B a r t ö k seine Universalität dokumentierte. Vielleicht gibt es Quartette mit hellerer Tönung und apollinischerer Klarheit, kaum aber an Wärme des inneren Erlebens, das zwischen Ungestüm und Versonnenheit hundert Lichter setzt. Bartöks Streichquartett Nr. 1, op. 7 (aus dem Jahre 1908) stand nicht zufällig im Mittelpunkt des Programms; es war auch der Höhepunkt des Spiels.

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