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VON NEUEN BÜCHERN

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Das Mysterium der Hoffnung. Von Charles Péguy. Aus dem Französischen übertragen von Oswalt von Nostitz. Verlag Herold, Wien. 199 Seiten

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Das Mysterium der Hoffnung. Von Charles Péguy. Aus dem Französischen übertragen von Oswalt von Nostitz. Verlag Herold, Wien. 199 Seiten

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Wir brauchen uns in Zukunft nicht mehr bemühen, allein in Monographien und Essays Charles Péguy, sein Leben und Werk Österreich zu verdolmetschen . Der streitbare französische Dichter, dessen Name wohl immer am besten gemeinsam mit Léon Bloy und Georges Bernanos als Vorkämpfer einer mächtigen christlichen Geistesrevolte zu nennen ist, kann für sich selbst sprechen. Zum erstenmal ist ein Band aus Péguys umfangreichem Schaffen in Österreich erschienen.

Das Mysterium der Hoffnung: ein ungewöhnliches, ein eigenartiges, auf den ersten Blick — aber wirklich nur auf den ersten — fremdartiges Buch: ein 199 Seiten umfassendes Gedicht. Allein einmal mit der Lektüre begonnen, löst sich dieses in viele Einzelgedichte, Hymnen und Oden auf. Abermals später erkennt man mit Romain Rolland, daß ein Motiv nie aufhört „unter der Oberfläche dahinzuströmen wie das Blut“: der Ruf eines Herolds der Hoffnung.

An ihr in diesem Lehen, in dieser Summe von scheinbar ewig gleichen Tagen, in diesem beständigen Wechsel von „Siegen“ und Niederlagen festzuhalten, ist keine Kleinigkeit. Selbst Gott, der am Beginn des vorliegenden Buches das Wort nimmt, wundert sich darüber:

Der Glaube erstaunt mich nicht,

Der) ist nicht weiter erstaunlich.

Ich strahle so sehr in meiner Schöpfung.

Die Liebe, spricht .Gott, die erstaunt mich nicht,

Die ist nicht weiter erstaunlich.

Diese armen Geschöpfe leiden so sehr, daß sie wirklich ein Herz von Stein haben müßten, um nicht einander zu lieben.

Was mich erstaunt, spricht Gott, ist die Hoffnung.

Das wundert mich über die Maßen.

Diese kleine Hoffnung, die nach so gar nichts aussieht.

Dieses kleine Mädchen Hoffnung.

Die Unsterbliche.

Dieses kleine Mädchen Hoffnung I Kaum sind diese Worte verhallt, blendet Péguy als der beste Regisseur seines eigenen Werkes das Leitbild von der Hoffnung auf, sein immer wdederkehrendes Liebliingslbild: die zwischen den großen Schwestern Glaube und Liebe trippelnde kleine Schwester.

Auf dem steigenden, sandigen, mühsamen Weg,

Auf der steigenden Straße,

Läßt sie sich ziehn und hängt am Arm ihrer zwei großen Schwestern,

Die sie an der Hand halten.

Die kleine Hoffnung,

So -geht sie voran.

Und inmitten ihrer zwei großen Schwestern sieht es so aus, als wenn sie sich ziehen ließe.

Wie ein Kind, das noch keine Kraft in den Béinen hat.

Daß man wider Willen fortzieht auf der Straße.

Und in Wahrheit ist sie es, die die beiden anderen anspornt.

Und sie mit fortzieht.

Und die ganze Welt antreibt.

Und sie mit fortzieht.

Ein Vater, Holzfäller im winterlichen Wald (Péguys Selbstporträt), nimmt dieses Lob auf. Plötzlich verdüstern sich die eben noch heiteren Züge. Ihm schaudert bei dem Gedanken, daß auch Kinder nicht vor Krankheiten gefeit sind. Doch alsbald lächelt er wieder verschmitzt, er Iaht sogar, der pfiffige Bauer.

über den Streich, der ihm gelungen ist.

Ih meine den großen Einfall, den ex gehabt hat. Den er ausheckte.

(Weil es ja so nicht weiterging.)

Er übergab seine Kinder, ließ sie ruhen in den Armen der Mutter Gottes.

Und ging seinen Weg mit schlenkernden Armen.

(Seltsame Vorahnung: ein Jahr, nachdem Péguy diese Zeilen schrieb, befand er sich wirklich auf dem Weg — nah Chartres, wohin er, der langjährige Sozialist, für seine Kinder wallfahrtete.)

Nah diesem persönlichen Bekenntnis wechselt — sprunghaft und unvermittelt wie immer — die Szene. Der gute Hirt selbst tritt uns entgegen, der die Hoffnung nicht aufgegeben hat. sein verlorenes Lamm zu finden. Und von dieser Impression ist es nicht weit zu dem Wort der Schrift, daß im Himmelreih mehr Fremde herrscht über einen Sünder, der Buße tut Sofort geht der Dichter dem eben aufgestöberten Pfad seiner Gedanken nah. Er übernimmt die Rolle des Allerwelts- mensdien, mokiert sich sehr über diese „Un-

Vgl. Die Furche", VIII 14, vom 5. April 1951: „Ein Sturmvogel flog dem Orkan entgegen "

gerechtigkeit“, um sich jedoch gleich darauf selbst eine Lektion zu geben.

Jesus Christus, mein Kind, ist nicht gekommen, damit er uns Märledn erzähle

Um uns alsbald, um uns sodann Scherzrätsel aufzugeben Zum Raten

Wie ein Zauberkünstler

Und dabei den Schlauen zu spielen.

O nein, mein Kind, und Jesus hat uns auh keine toten Worte gegeben,

Die wir einshließen mußten in kleine Schachteln (Oder in große),

Die wir aufheben müßten ln ranzigem öl Wie die Mumien Ägyptens.

Jesus Christus, mein Kind, gab uns nicht Wortkonserven Zum Aufbewahren,

Sondern er gab uns lebendige Worte, Damit wir sie nähren.

So geht es weiter. Immer hastiger fliegt Peguys Feder, immer neue Gedanken drängen eich ihm auf, immer häufiger wehsein die Bilder. Ein heiteres Streitgespräch mit den Heiligen wird gewagt, der von des Dichters Landsmann Queffelec später aufgenommene Fanfarenruf „Gott braucht Menschen ausgestoßen, die Variationen über die drei Gleichnisse der Hoffnung: vom verlorenen Shaf, von der verlorenen Drachme, vom verlorenen Sohn folgen. Dann wieder plötzlich ein Landshaftsbild: Lothringen!

Willkommener Anlaß zu einem enthusiastischen Lobgesang auf Frankreih und die Franzosen — „o mein französisches Volk, o mein Lothringer Volk. Reines, gesundes Volk, gärtnerndes Volk.“ Und von den französischen Gärten und ihren Blumen ist es wieder nur ein Gedankensprung zur Fronleichnamsprozession, wo wir im Zuge abermals dem gefeierten kleinen Mädchen zwischen seinen erwachsenen Shwestern begegnen. Zwanzigmal mäht die Kleine den Weg, hin und zurück springt sie, ohne müde zu werden. Ein echtes Kind. Ein Vorreht der sorgenfreien Kindheit aber ist der ruhige, feste Schlaf. So endet dieses großartige Buh mit einer Apotheose des Schlafes und der Naht als Symbol bedingungsloser Hoffnung.

Die menschliche Weisheit spricht: Uberlaßt nicht dem morgigen Tage,

Was ihr heute noh tun könnt.

Ih aber sage euh: Wer es versteht, dem Morgen zu überlassen,

Der ist Gott am wohlgefälligsten.

Wer wie ein Kind schläft,

Der schläft auch wie meine liebe Hoffnung Und ih sage euh: überlaßt nur dem morgigen Tag

Dieses Schluchzen, das in euh aufisteigt und das euh würgt.

Uberlaßt nur dem Morgen die Tränen, die Augen und Kopf euh erfüllen,

Die euh überschwemmen. Euh niederfallen. Die euh rinnen, die Tränen. Denn zwischen heute und morgen bin ih, Gott, vielleiht an euh vorübergegangen.

Erweckt diese Sprahe und der Geist, der hinter den Zeilen steht, wirklich „den Eindruck des Langatmigen, wenn nicht des Langweiligen, weil sie das Religiöse abstrakt, blaß und lebensfern bietet eis reine Gedanken- dihtung“?: so erst unlängst eine kritische

Stimme. Freilich, ganz mühelos ist es niht, mit Péguy erste Bekanntschaft zu mähen, und wer dieselbe mit diesem Buh beginnt, tut gut, in diesem Gedicht Bild auf Bild zu betrachten und nicht auf einen Blick die so umfangreiche Kollektion erfassen zu wollen. Eines freilich stimmt: Péguy ist einer von denen, die die katholische Literatur endlich und endgültig von frommen Traktaten und harmlosen Kalendergeshichten geschieden haben. Oder (in der Sprahe unseres kritischen Freundes): Er ist einer von den „zwieliditernen Persönlichkeiten auf literarischem Gebiet..„die sicher sehr brave Zeitgenossen waren oder sein mögen, die aber dem normalen Christenmenshen, der ohne Verschrobenheit und ohne sogenannte Tiefenpsychologie ein gesundes religiöses Leben führen will, auf die Nerven gehen.. ."

Ja, „auf die Nerven gehen“, Stachel im Fleisch einer gar zu robusten und selbstgefälligen Christenheit sein: gerade das wollte Charles Péguy. Seine polemischen Prosa Schriften, hoffentlich findet mit einer von ihnen bald die österreichische Péguy- Ed’ltion ihre Fortsetzung, werden dies noh deutlicher zeigen.

Ein Nahwort zu dem suggestiven Shutz- umshlag Kurt Schwarz’: Der Kritiker glaubt, daß Péguy an ihm seine Freude gehabt hätte.

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