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Weihnachtszwänge

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Ich hab' mich jetzt spezialisiert auf das Kurieren der sogenannten Weihnachtszwänge. Sie treten alljährlich so zwischen Ende November und Ende Dezember auf und befallen fast jeden zweiten Mitbürger. Bevor die Akutphase mit Sing-, Feierund Eßzwängen eintritt wird die Krankheit mit durchaus als noch harmlos zu bezeichnenden Zwängen eingeleitet. Sie äußern sich in Kranzbinden, Kerzenaufstecken und Kirschbaumzweigesammeln.

Dann jedoch beginnt die schon fortgeschrittene Phase mit den sogenannten Geschenkskaufzwängen. Darunter leiden mehr Menschen als man gemeinhin annimmt. Eingeleitet wird diese Krankheitsphase durch ein Wanken und Schwanken zwischen: Was kauf ich? Was kauf ich nicht? Was hat er/sie schon? Selbst die Träume bleiben von diesem Leiden nicht verschont. Man hört da im Schlaf oft: Was kauf ich nur Tante Mitzi? Was wünscht sich wohl der Onkel Ferdinand? Hab ich nicht der Tante Trade voriges Jahr schon einen Eierkocher gekauft? Der Onkel Guido raucht gerne Zigarren,, aber welche Sorte? Die Oma hat zwar kalte Füße, aber was hilft dagegen?

Richtige Alpträume können diese Weihnachtszwänge auslösen. Sind diese Kaufzwänge etwas abgeebbt, dann folgt der sogenannte Keksbackzwang, der vorzüglich weibliche Patienten befällt. Dabei wird dieser Zwang verschärft durch die geheime Forderung, jedes Jahr um mindestens eine KeKsärt mehr zu backen. Tagelang ist die Luft vom Duft frischge-backener Kekse geschwängert, was die Selbstdisziplin an sich gefräßiger Familienmitglieder arg auf die Probe stellt.

Deshalb begleitet diesen Keksback zwang oftmals auch ein Keksversteckzwang, der soweit gehen kann, daß manche Keksschüsseln nicht mehr gefunden werden und manchmal erst wieder zu Ostern oder Pfingsten auftauchen.

Parallel zu diesem Kekszwang bildet sich meist auch der sogenannte Weihnachtskartenschreibzwang heraus, der oft die tollsten Blüten treibt.

Dabei ist es interessant, daß oft Zwang mit Gegenzwang beantwortet wird. Schreibst du mir nicht, schreib ichmr trotzdem. Oder: Der hätt' auch mehr schreiben können als Frohe Weihnachten und ein glückliches Neujahr wünscht ... Na schreibe ich detto. Also, es entspinnt sich ein richtiges Zwangsnetz, das durch Telefonate, Händeschütteln und zwanghaftes Lächeln noch verschärft wird. Aber das ist noch nicht der Abschluß der Weihnachtszwänge.

Jetzt schließen sich erst die sogenannten Putz- und Aufputzzwänge an. Sie äußern sich in einem Rundumputz vom Keller bis zum Dachboden, so als ob Staatsbesuch angesagt wäre. Für die nichtputzenden Familienmitglieder bedeutet diese Phase eine Nervenzerreißprobe.

Die fehlenden Vorhänge, das Klopfen der Teppiche und das Drüberfal-len über Besen, Staubsauger und Putzmittelflaschen macht diese Putzzwänge zum reinsten Horror.

Und wenn dann alles glänzt und strahlt, dann wird der Weihnachtsbaum aufgeputzt, was ebenfalls zwangshafte Züge trägt. Alle diese Zwänge sind für die betroffenen Familienmitglieder nur erträglich durch eine Flucht zu christkindl-markteienen Punschbuden. Dort kann jene Wärme getankt werden, die man jetzt daheim so bitter vermißt. Nur Vorsicht, auch der Punsch-budenbesich ist gefährlich und trägt den Keimeines Weihnachtszwanges in sich.

Was immer man tut in der Vor-weihnachts:eit, die Zwänge verfolgen einem wie das „Alle Jahre wieder" in den Supermärkten. Nur für mich ist alles bestens Seit ich mich auf das Auskurieren all dieser Weihnachtszwänge spezialisiert habe, sanier' ich mich in dem Monat vor Weihnachten. Die übrigen elf Monate des Jahres frön ich meinen Nichtstuzwängen in der Karibik. Ganz ohne Zwänge komme auch ich nicht aus.

Aber warum soll ich sie mir abgewöhnen, meine Zwänge, solange sie mir Spaß machen.

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