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Wenn Ooetrie Telephon gehakt riatte ...

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Im Schlafrock ging der Geheimrat auf und ab, um seinen „Faust“ zu diktieren. Seine Chefsekretärin, Fräulein Robiczek aus Böhmisch-Leipa, hatte ihr Haar zu einem griechischen Knoten hochgesteckt und saß an der Schreibmaschine im Direktoirestil.

Der Meister diktierte: „Zwar bin ich gescheiter — gescheiter bitte mit Ida, nicht mit Ulrich wie in meinem Urfaust — als alle die Laffen — Komma — Doktoren — Komma — Minister — halt, streichen Sie bitte Minister, sonst haben wir Ärger mit der Volkszensur — Magister — Komma — Schreiber und — und — na, sagen wir ruhig Pfaffen...“

„Werm wir, das,, lassen;; wird Ingolstadt, den $auit 1e^jmmT'sntcht“si>ieieti“, sagte Fräulein

Die Sekretärin nahm den Hörer ab: „Hier bei Goethe! Ausgeschlossen! Herr Geheimrat hat schon Radio Frankfurt abgesagt, eine Silvesterhymne zu dichten, da kann er doch Radio Leipzig nicht zusagen! Nehmen Sie doch einfach ein Trinklied,, Hier sind wir versammelt zu löblichem Tun' — Verrechnung über Gema — und anschließend ein oder zwei Choräle vor den Mitternachtsglocken und der Ansprache Seiner Durchlaucht, des jeweiligen Landesherren — das ist ein beliebtes Standardprogramm für Silvester — wie bitte? Augenblick!“

Fräulein Robiczek hielt die Hörmuschel zu und flüsterte: „Ob Exzellenz zu einem Nachtgespräch mit Heidegger und Vietta bereit seien über das Thema, Der denkerische Seinsgrund der gestalterischen Impulse in der Katharsis'?“

„Ist ja total unverständlich“, knurrte der Olympier. ..Gut — aber nicht unter zehn Louis-dor Honorar!“

Fräulein Robiczek verabredete den Termin und legte auf.

„Melde Sie doch gleich dringend Presse ein R-Gespräch mit Cotta in Stuttgart an“, sagte Goethe, aber das Telephon klingelte schon wieder.

Fräulein Robiczek meldete sich: „Hallo — ach, Sie sind's, Mister Goldwyn! Ja, Sie können Ihrer Firma drahten, daß der Herr Geheimrat mit der Verfilmung seiner Iphigenie einverstanden ist. Bedingung: das Drehbuch schreibt Fräulein von Willemer — ganz richtig, die vom Diwan —, die Rolle hat der Herr Geheimrat Frau Corona Schröter versprochen — Anzahlung fünfzehn Mille Courant — Televisionsrechte verbleiben natürlich beim Autor — also abgemacht, schicken Sie den Vertrag!“

Fräulein Robiczek schnaubte unwillig und steckte ihre Chemisette fest. „Dieser Goldwyn ist unmöglich“, sagte sie. „Wissen Sie, wie er den Namen von Exzellenz ausspricht? Dschon Dabblju Guhs! Und die Iphigenie macht er zu einer Aifidschin! Dabei ist der Mann doch ein gebuiener Gold wein aus Bebra. Aber jetzt melde ich erst einmal Stuttgart an.“

Während sie es tat — „Goethe, mein Gott, kennen Sie uns denn nicht? Wir haben doch die größte Telephonrechnung von Weimar“ sagte sie unwillig zum Fräulein vom Fernamt —, memorierte der Finanzminister halblaut ein paar Verse und skandierte mit der Hand das Versmaß.

„Was steht heute noch im Terminkalender?“ fragte Goethe.

„Um elf Uhr kommt der Photograph vom .Spiegel'. Er möchte einen Titel von Exzellenz machen!“

Der Meister lehnte brüsk ab. „Kommt gar nicht in Frage. Die schicken den Kerl, der jede Hautpore Photographien.“

Fräulein Robiczek wußte Rat. „Dann geben wir als Titel das Gemälde von der Angelika Kauffmann, .Goethe in der Campagne' frei. Exzellenz sind da so malerisch in die Landschaft hingegossen — das kommt gut im Breitformat!“

„Aber Robiczek — Sie weiß doch, daß das Bild bei der Frau OberstalTme.ister hangt! Und

tun haben!“ Wieder klingelte das Telephon Fräulein Robiczek nahm ab. Sie erhob sich. „Jawohl, Durchlaucht. Exzellenz geruhen, geruht zu haben“, sagte sie, deutete einen kleinen Hofknicks an und gab den Hörer ihrem Chef. „Durchlaucht persönlich!“

„Morgen Durchlaucht. Jawohl, ich habe die allergnädijste Neujahrsansprache schon in der Mache, die Durchlaucht in Auftrag zu geben beliebte. Ich wollte nur noch wissen, wie wir diesmal dem neuen Jahr entgegensehen wollen. Im vorigen Jahr hatten wir mit, Mut und Gott-vertrauen'. Schlage vor, Gottvertrauen zu lassen, das ist immer gut. Wenn wir in diesem Jahr statt Mut Zuversicht nehmen, ist das mal was anderes. Alleruntertänigsten Dank für den Anruf, Durchlaucht — heute abend sehen wir uns im Theater!“ Goethe legte auf. „So - und was gibt es noch? Zum Dichten kommen wir heute doch nicht mehr!“

„Beinahe hätte ich es vergessen — hier, ein Telegramm. Text: Bitten dringend um Festspiel, in dem Wert ■ des Blechs für Volk und Kultur unauffällig propagiert wird. Unterschrift: Verband der blechverarbeitenden Industrie. Was soll ich antworten?“

„Götz von Berlichingen!“ sagte der Meister.

„Zitieren?“ fragte die Robiczek unsicher.

„Nein, schicken! Wenn das Stück gut inszeniert wird und die Rüstungen klappern — wenn das keine Werbung für Blech ist! Apropos Theater — gib sie mir doch mal den Chefdramaturgen!“

Fräulein Robiczek wollte wählen, da kam das Gespräch aus Stuttgart. „Was, Herr Cotta ist nicht im Haus? Hallo, Fräulein. Dann richten Sie ihm bitte aus: der Meister ist außer sich! Die 2000 Gulden Vorschuß betrachtet Exzellenz natürlich als Anzahlung auf die Option für den Wilhelm Meister — das kann doch Herr Cotta nicht vom Honorar abziehen! Mit Vorabdruck in der .Schwäbischen Illustrierten' sind wir einverstanden — Honorar Fifty-Fifty zwischen Verleger und dem Meister. Also bringen Sie, bitte, die Kleinigkeit mit den zwei Mille in Ordnung. Wiederhören!“

„Das hat sie gut gemacht, Robiczek!“ lobte der Chef.

Die Sekretärin strahlte und wippte kokett mit den Füßen, die in flachen Schuhen mit Kreuzbändern steckten. ..Jetzt geb' ich Exzellenz gleich den Chefdramaturgen“, sagte sie und rief das Theater an. Als der Chefdramaturg am Apparat war. nahm Goethe den Hörer ab.

„Hier Intendant Goethe! Also Plaschke. was Er mir da gestern gegeben hat, das stinkt ja zum Himmel! Dieser .Zerbrochene Krug' von dem - wie heißt doch der Kerl? - dem Kleist da -hören Sie, das Stück ist ja der Komperativ seines Autors. Kleister kann man da bloß sagen! Und diese Klamotte soll ich in meinem Theater spielen? Was glaubt Er eigentlich von mir? Was heißt eine Rolle für Frau Schröter - besetzt Frau Schröter die Stücke oder der Intendant? Na also - geh Er mit dem Krug solange zum Brunnen, bis er zerbricht! Wiederhören!“

Wütend knallte der Meister den Hörer auf. ..Robiczek — hat Sie das Bonmot von dem zerbrochenen Krug und dem Brunnen, das ich eben gemacht habe, gehört? Gut - was? Sei Sie so lieb und schreib Sie es dem Eckermann!“

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