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Wer sich outet, ist in

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Also bitte, lieber Herr Sprachpfleger, der Sie tadelnd und vergeblich den Zeigefinger outen, dieses modische outen ist vielleicht superaffengeil, aber ganz so neu ist das nicht. Wenn in längst vergangenen Jugendtagen, als der Sport noch etwas mit körperlicher Bewegung zu tun hatte, einer von der übereifrigen Mannschaft das Spiel über die Begrenzungslinie des Feldes hinaustrug, dann schrie der Fetzenlaberl-Chor: „Out! Out! Out!” Auf diese Weise unterstützte damals der Sport die multikulturelle Verständigung. Denn out und corner waren Vokabeln, die wir schon kannten, ehe wir sie lernten.

Warum man hingegen Tor und nicht door schrieb, obwohl Reporter und Publikum aus Leibeskräften „Doooor!” schrien, wenn das Leder im Käfig saß, das werde ich nie begreifen. So war das einst, als Fußball im Rundfunk noch ein akustisches Ereignis war. Für die Optik gab's damals den Beruf des Outwachlers, eine Art Hilfs-Schiedsrichter, der die Spielfeldgrenze bewachte.

Nur eines gab es nicht: sich selbst outen. Wer im out war, der war out. Ein wie immer gearteter Zusammenhang mit der Couch des Doktor Freud oder der Feder des Alfred Worm bestand da nicht. Vermutlich trugen die Begrenzungslinien des Fußballfeldes zum Bewußtsein der Grenzen überhaupt bei.

Es fiel keinem Zuschauer ein, einem Fußballer, der sich innerhalb des Feldes bewegte, zuzurufen: „In! In!”. Drinnensein entsprach den Regeln und war selbstverständlich.

Erst die Wohlstandswelle nach dem Zweiten Weltkrieg brachte die feineren Differenzierungen. Erst seit damals sagt das Gegensatzpaar „in-out” mehr als drinnen und draußen. Während beim Fußball die Begrenzungslinien klar erkennbar waren, wurde die Grenze jetzt unsichtbar und unsicher. Über Nacht konnte, wer „in” war, plötzlich „out” sein. Man mußte verdammt aufpassen, daß einem die Gesellschaft und die Medien nicht einfach den Boden unter den Füßen wegzogen. Nur wer sich verläßlich informiert und seinen Konsum danach ausrichtet, kann sicher sein, nicht unversehens ins „out” zu geraten.

Mühsame Wohlstandszeiten! Aber man lernt damit zu leben, man lernt sogar den Fehltritt ins „out” unauffällig zu korrigieren - und schon ist man wieder „in”. Die begehrte Silbe wurde zur Garantie-Marke: In-Lokal, In-Party, In-Mode ... Schritt für Schritt auf dem In-Parkett der In-So-ciety. Die Entfernung vom Fußballfeld hat der Sprache nicht gutgetan. Die In-Zucht erzeugte In-Komplexe. Irgendwie war da schon zuviel Gesellschafts-Dampf, der abgelassen werden mußte.

Also muß, wer in bleiben will, sich outen. Daß der Trend gleichzeitig mit einigen Skandalen aufbrach, ist purer Zufall. Festzuhalten ist, daß es selbstverständlich auch früher schon Skandale gab, die dadurch ausgelöst wurden, daß einer sich mit Bedacht oder Unbedacht geäußert hatte. Speziell der Österreicher hatte immer schon Freude daran, Geständnisse aller Art sowohl zu vernehmen als auch abzulegen. Der Einblick ins Innere, in den

Hinterhof, in die Kulissenebene hat etwas Faszinierendes. Der Sigmund Freud hat nicht umsonst entdeckt, daß wir unterm Deckel des Offiziellen gerne unsere brodelnden Geheimnisse verstecken - und daß wir glücklich sind, wenn einer den Deckel lüpft. Zeuge eines Geständnisses zu werden weckt die Lust, selbst zu gestehen. Die Psycho-Onkel aller Provenienzen haben da ihre Verfahren und leben davon.

Aber es war bisher doch noch nicht ganz das Befreiende. Erst seit die ganze Medienszene nach Outing ruft, seit sich weltliche und geistliche Prominenz nach Herzenslust outet, seit wir ohne das Outing des Tages nicht mehr leben können und uns unsererseits im Bekanntenkreis outen, sind wir glücklich. Es ist wie ein gegenseitiges Herausquetschen, ein ekelhaftes Loswerden, ein Spei-Beiz mit der Pfauenfeder des Geistes. Oute dich! Wer sich nicht outet ist nicht in.

Die Dichter haben es leicht. Die haben sich immer schon geoutet. Von ihnen ist zu lernen, wie man sich outet ohne daß das einer bemerkt. Das ist das Geheimnis des literarischen Ou-tings.

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