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Das Wirkliche

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(5. Fortsetzung)

Dann blieben sein Nachrichten wochenlang aus. Man konnte vermuten, die wichtigen Operationen machten vielleicht einen Feldpostdienst unmöglich, heimlich aber ängstigte ich mich, es könnte etwas geschehen sein. Täglich ging ich die Verlustlisten durch, die Litanei der Toten und Verletzten, bis ich ihn endlich unter den Verwundeten fand: Kaiserjäger Hermann Waldner, Kopfschuß. Es gelang mir, seine Anschrift zu erfahren und ich reiste ohne jede vorherige Anmeldung.

Die Krankenschwester unterrichtete mich, er könne sich kaum fassen: nun sei es zwar etwas besser, aber die erste Zeit habe ein Tobsuchtsanfall den andern abgelöst. Furchtbar, für sein Leben blind zu sein.

„Er ist blind.”

Ich erschrak derart, daß ich am ersten Tag nicht die nötige Ruhe hatte, ihn zu besuchen. Anderentags nun fand ich ihn schlafen. Den linken Arm unter den Nacken gezwängt, atmete er friedlich. Plötzlich aber fühlte er das Mitleid eines anderen: sein Antlitz veränderte sich, er schien schreckhaft zu lauschen, dann wayf es ihn auf:

„Wer da?” brüllte er und richtete seine Hände gegen mich, als hielte er ein Gewehr im Anschlag.

Ich rief seinen Namen. Da ließ er sich schwer in die Kissen fallen und atmete zuckend, die Hände in das Gesicht gepreßt. Wieder nannte’ ich seinen Namen. Nun richtete er sich mühsam auf, tastete nach mir und umkrampfte mich wild.

„Warum gönnt mir Gott nicht einmal Ruhe? Nur einmal, sag? Du mußt es wissen, du, sein Diener!”

„Nicht Hermann, du bist doch ein Held.”

„Aber so abgründig hätte er nicht zu mir kommen dürfen! Ich ertrag ihn nicht mehr — er wird mir zu schwer.”

Ich versuchte ihn wenigstens einigermaßen zu trösten, wenn mir auch jedes Wort wie Hohn erschien — wie kann ein Mensch, dem noch nichts gemangelt hat, von Opfergeist und Heldentum reden? Ich schämte mich und wußte doch keinen anderen Ausweg, als wieder ihm und mir zu bestätigen, was in dieser Stunde keiner zu fassen stark genug war.

Die nächsten Tage verhielt er sich etwas ruhiger, es konnte sein, daß wir stundenlang beieinander saßen ohne ein Wort zu reden. So gewann er am ehesten Ergebenheit, die ihn vor den bösesten Ausbrüchen bewahrte. Und mählich brachte ich ihn wieder dahin, dem Leben jenen Wert beizumessen, der notwendig ist, um es zu achten, oder wenigstens zu beachte . Freilich, es waren mehr Versuche, oft brach im nächsten Augenblick wieder alles ein: er warf sich längelang über seinen Tisch und heulte oder stürzte gegen das Fenster und kratzte an den Scheiben, damit das Licht aufquelle. Eine furchtbare Übung, wenn man des Mannes gedachte, für den Werke zeugten, die geradezu aus dem Licht lebten.

Ich fürchtete mich schon lange, er würde einmal um den Sinn seiner Künstlerschaft fragen. Was hätte ich anders sagen können als: Das Schöpferische benötigt weder Form noch Farbe, denn der Geist besteht von jeher, und was du im Herzen schaffst,

währt ewig, auch wenn du es nie sinnenhaft mitteilst. Wer ist wohl mächtiger als der Geist, der im Geist fortwirkt? Nichts ist verloren, alles reichst du weiter —: in diesem Augenblick aber erfüllt sich das Wunder des Werkes, das sich vieler Wege bedient, aber seinen geheimnisvollen Weg durch den Geist geht.

„Geist? Ich wollte ja einmal den Geistmesser verherrlichen! War das eine Ahnung? Eine Berufung? Oder war es Frevel, daß die Strafe derart häßlich ausgefallen ist? Sag!!”

„Das entscheidet der Geist, der eigene 1 Geist! Verstehst du, wie ich es meine?”

Von nun an schien er sein Unglück milder zu richten und allmählich kam eine stille Trauer über ihn wie der Segen eines Herbsttages.

Kurz vor meiner Abreise erhielt ich rin Schreiben von Verena mit einem zweiten für Hermann Waldner. Ihr Entschluß würde mich wohl seltsam dünken, aber sie tue, was sie tun müsse.

Als ich ihm ihren Brief vorlas, lauschte er zuerst wie rin Kind, mit heller Freude, die sich offenbar nicht erschöpfen ließ, dann aber stiegen Zweifel auf und auf einmal wehrte er sich heftig:

„Nein! Niemals!”

„Liebst du sie nicht mehr?”

„Nur sie.”

„Was zögerst du dann?”

„Aus Mitleid lasse ich mich nicht heiraten. Mitleid ist das schlimmste Leid!”

Ich erinnerte ihn an alles Frühere, an die Tugenden des Mädchens, an jene hohe Liebe, die im Verzicht das Wahrste findet, aber selbst auf diesen Verzicht zu verzichten vermag, wenn darüber hinaus die Liebe noch reiner gedeiht! Ober er das Mitleid nenne, er, der doch genug über jene rätselhaften Stellen des Lebens nachgedacht habe, in denen der Gewöhnliche oft nichts anderes mehr als Überspanntheit oder Trug entdecke, während der Sehende die würdige Offenbarung eines Herzens ahne, dem das Geheimnishafte wohlvertraut ist.

Daß wir vor meiner Abreise zu keiner Entscheidung kamen, begriff ich gut und war seiner vernünftigen Antwort gewiß, die auch bald danach folgte.

Verena hatte sich seltsam verändert. Sie war jetzt empfindlich wie noch nie und das Leiseste machte sie schwermütig. Jene Fröhlichkeit, die sie vorher umspielt hatte, ein Kindersinn, der seine Wunder aus den täglichen Begebnissen zu holen und verklären verstanden hatte, war erloschen. Sie war zwar noch die Kindliche, vielleicht noch mehr als früher, aber nur dort, wo die Schrecken vor der Brutalität des Geschlechtes nicht aufstanden: dort übersteigerte ihr Angst alles derart, daß sie keinen Ausweg fand.

Seine Briefe halfen ihr auch nicht weiter. Das Drängende seiner Kraft, eine ungestüme Derbheit, die aber nie im Inhalt, sondern vielmehr im Rhythmus seiner Aufzeichnungen- aufbrach, ängstigte sie in die Nächte hinein. Dann weinte sie sich in den Schlaf und wußte mit ihrer Liebe nichts mehr anzufangen.

(Fortsetzung folgt)

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