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Ich kabe einen Freund verloren...

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Von den vielen Freunden meiner Jugend sind mir nur wenige geblieben, die meisten haben sich verlaufen. Und jetzt bin ich wieder um einen gekommen. Es ist ein großes Unglück, wenn man um einen Menschen ärmer wird.

Heinz war ein stiller Knabe, der nichts aus sich machte. Wenn wir am Abend im Internat beisammenstanden und ich das große Wort führte, hörte er bloß zu, und wenn ich allein war, tauchte er auf, scheu und ängstlich, ob ich ihn beachten würde, ich gewöhnte mich dran, daß er immer in meiner Nähe war und fand es selbstverständlich, daß er mir vieles abnahm, was mir zu unangenehm oder wozu ich einfach zu faul war. Oh, er war groß in seiner dienenden Hingabe, nie fand ich einen Selbstloseren als ihn. Meine Launen ertrug er, als wären es keine, dabei war ich herrschsüchtig und schonte ihn nicht. Er war krank, schwer krank, wie es sich herausstellte, als ich tausend Kilometer weit fort an einer andern Schule war. Er lag im Spital, aufgegeben von den Ärzten, und ich in der Zerstreuung der Fremde vergaß fast auf ihn. Weil er meinen Brief nicht beantwortet hatte — er lag zwischen Tod und Leben, nur wußte ich es nicht —, schrieb ich nicht mehr, und er wartete darauf. Als er der Gefahr entronnen, schrieb er mir wieder, es waren seine einzigen Briefe, außer denen an seine Eltern. Seine Schrift •war schwer leserlich, die Buchstaben geduckt und verschlungen, ich verlangte von ihm, er müsse sich eine neue Schrift angewöhnen. Er kaufte sich die neuen Richtformen und übte danach. So quälte ich ihn. Meine Worte waren ihm wie ein

Evangelium. Von ihm könnte ich sagen, er bewahrte sie alle in seinem Herzen. Er wunderte sich über meine Wandlungen, denn er war schwerblütiger und langsamer, aber mühte sich, mir nachzukommen.

Ja, dann kamen wir aus der Schule und wurden zu Männern. Jetzt erst gingen mir die Augen auf, was ich an ihm hatte. Ein Mädchen trat in sein Leben. Er erzählte mir alles. Ich fand, sie paßten nicht zueinander, er brach daraufhin mit ihr. Welche Belastungsprobe für unsere Freundschaft hätte noch kommen können? Es kam eine kleine dunkle Frau, aus der der Dämon glühte. Sie sah ihn und sprach in ihrem Herzen: Du bist mein. Drei Jahre widerstand er, dann verfiel er ihr. Er öffnete mir das Herz in seiner Qual. Ich überlegte, wo es nichts zu überlegen gab, sie war das Weib eines andern, dann sagte ich zu ihm: „Legt die Ferne zwischen euch. Fliehe, eh' dich das Feuer frißt.“ Er schrieb mir darauf: „Ich folge Dir, Du hast immer recht. Du hast mich aus dem Dunkel geführt, durch Dich bin ich ins Helle getreten.“ Sie merkte, woher der Widerstand kam, und gab es nicht auf, wider die widrigen Winde zu gehen. Ich gestehe, ihre Liebe war sehr groß, und er hatte nicht die Kraft, ihr zu widerstehen. Es gibt solche Menschen, deren Schicksal es ist, immer Stärkeren zu verfallen. Er wich mir aus, sie hetzte gegen mich: „Entweder er oder ich.“ So kamen wir auseinander. Ich konnte es nicht mehr ansehen, wie er sich ruinierte, und gab den Kampf auf. So habe ich ihn verloren, und es war mir, als wäre iin Stern vom Himmel gefallen.

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