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Zweimal Josefstadt-Dependance

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In der stets heiteren Josefstädter Dependance, in den „Kammerspiele n“, steht Terence R a 11 i-gans „O Ii via“ auf dem Spielplan. Die Komödie, nicht klüger und nicht banaler als die üblichen Gesellschaftsstücke, die aus dem englischen Salontheater zu uns kommen, steht mit Susi N i c o 1 e 11 i und fällt mit Fritz Riedel. Frau Nicoletti spielt mit allem Raffinement, mit dem Geist und mit dem Reiz der souveränen Konversation eine reichlich lebenslustige Mama (die in angenehmer Liebe einem britischen Kabinettsminister verbunden ist), Fritz Riedel versucht sich in der Rolle ihres sehr ernsten, sehr linken, sehr linkischen Sohnes, der für diese Idylle mitsamt der fashionablen Lebensart im Hause des „kapitalistischen“ Ministers kein Verständnis hat. Der junge Mann geht auf die Nerven, ist vorlaut, bewegt sich unnatürlich, kopiert einen naseweisen kleinen Erwachsenen. Infolgedessen bringt seinen — an sich rührenden — Pubertätsargumenten niemand im Parkett auch nur eine Spur von Sympathie entgegen, infolgedessen fällt die „Moral“ der melodramatischen Geschieht' unter den Tisch, infolgedessen siegt Karl S c h ö n b ö c k, das Abbild eines dandyhaften Torrys, auf allen Linien. Für

Elisabeth Markus und Ursula Schult in kleineren Rollen) sorgte Peter Pres es, das Bühnenbild von Herta Hareiter geriet freundlich und geschmackvoll.

In der zweiten Josefstadt-Dependance, im ernsteren, literarischen, experimentierfreudigen „Kleinen Theater im K o n z e r t h a u s“, sehen wir Eugene I o n e s c o s vielbesprochene „Nashörner“: die Groteskkomödie einer Stadt, deren Bürgel sich nach und nach entschließen, ihre menschliche Existenz zugunsten der von Herdentieren aufzugeben. Im Schutze eines überaus animierten Gelächters vollzieht sich eine grauenerregende Metamorphose: die absolute Inhumanität, die rohe Gewalt, das Tosen und das Stampfen in den Straßen ergreift die Macht. Ein Wahn, eine Epidemie, das Kollektiv. Ein Mensch bleibt übrig, ein einzelner, ein einziger, ein Adam wider Willen, er allein kapituliert nicht: vor den Nashörnern nicht und nicht vor dem Wunsch, letzten Endes doch auch selbst eines zu werden.

Eine wahrhaft apokalyptische Vision, ein Menetekel, eines der packendsten (und raffiniertesten) Gegenwartsstücke der letzten Jahre (Vergangenheit, Gegenwart und ein Schreckgespenst der Zukunft sind darin enthalten) — inszeniert und bearbeitet von Edwin Z b o n e k. Er verlegte Schauplatz, Aktualität und' die Satire der an der Entmenschung teilhabenden Charaktertypen nach Wien, er schuf ein Stück Lokalposse, er konfrontierte den kalten Intellekt Ionescos mit dem scharfen, abgründigen, Heiterkeit vortäuschenden Intellekt Nestroys. Unter der erdrückenden Feuchtfröhlichkeit und : der gespenstischen Biedermeierei (unserer Vergangenheit und Gegenwart) werden alle Gefahr und alles Grauen sichtbar, spürbar. Die Zuschauer lachen zunächst über diesen „heiteren“, „wienerischen“

schrieben scheint, sie nehmen Anteil — und Verlasseh das Theater mit einem Würgen im Halse.

Zwei Zentralgestaltungen haben an dem großen Erfolg dieser brillanten, tapferen, doppelgesichtigen Aufführung allergrößten Anteil: Otto Schenk — der Spießer, der sich vor unseren Blicken in ein Nashorn verwandelt, und Franz M e ß n e r, erschütternd, echt — der Mensch, der Einsame, der Letzte. Carl Bosse, Guido W i e 1 a n d, Elfriede Irrall, Carl Merz, Leopold Hainisch, Walter Verndal, Peter Gerhard und Hermann Glaser stehen nicht nach. Die Dekoration, die Würze und das Kolorit der Aufführung, sind von Lorenz Witthalm.

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