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Ein neuentdeckter Mozart?

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Bei der Durchsicht des Notenarchivs der Pfarrkirche „Maria Geburt” auf dem Remi- weg hat vor kurzem der Organist dieser Kirche, Erich Haider, eine bis jetzt unbekannte „Messe in C mit Orgelsolo von Wolfgang Mozart” für Soli, gemischten Chor, Orchester und Orgel entdeckt. Die Bezeichnung der Messe findet siela lediglich auf dem Umschlag; die Stimmen selbst tragen — wie alle Handschriften dieses Archivs — nicht den Namen des Komponisten. Die Zusammengehörigkeit der Stimmen und des Umschlags wird jedoch durch die gemeinsame Archivnummer angedeutet. Die Messe ist mit keiner der im Köchel- Verzeichnis durch Inzipits nachgewiesenen Messen Mozarts identisch, auch nicht mit einer der als unsicher bezeichneten oder Mozart zugeschriebenen Messen. Die handgeschriebenen Chor- und Orchesterstimmen sowie die nur in deri Solostellen ausgesetzte Orgelstimme dürften aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts stammen; es müßte sich demnach um eine Abschrift handeln.

Die neuaufgefundene Messe stellt sich im wesentlichen als eine „Missa brevis” dar, bei der jedoch einzelne Sätze, vor allem die mit Orgelsolo, etwas breiter ausgeführt sind, so das „Christe”, das „Et incarnatus est”, das „Benedictas” und das „Agnus”. Die Messe ist also in einzelnen Partien etwas größer angelegt als eine „Missa brevis”. Die Orchesterbesetzung besteht aus Streichquintett mit geteilen Violen — eine Eigenheit, die sich in Mozarts Jugendwerken häufig beobachten läßt — zwei Frompet-n und Pauken. Vier Holzbläserstimmen dürften ein Zusatz aus späterer Zeit sein. Das charakteristische, fast möchte man sagen das „mozartische” Gepräge geben dem Werk die Gesang- und Orgelsoli. Der unbefangene Zuhörer glaubt beim ersten Hören der Solostellen für die Orgel eine der frühen Klaviersonaten Mozarts zu erkennen. Sie sind thematisch mit den Gesangsolis verwoben. Die Chorpartien sind fast durchgehend homophon und vielfach von einer fast kindlich zu nennenden Schlichtheit und Anmut. Sie vor allem sprechen dafür, daß wir ein Jujcndwerk vor uns haben. Bei aller Einfachheit zeigen sie aber jenen diesseitig festlichen Charakter, der für die Messen Mozarts und Haydns als Kinder ihrer Zeit so bezeichnend ist. Dazwischen finden sich aber Stellen, die unwillkürlich aufhorchen lassen, weil sie ein tiefes Erleben des Meßtextes zeigen, so etwa das innige und ausdrucksvolle Tenorsolo „Et incarnatus est”, das „Crucifixus”, das in seiner müden Chromatik Und in den synkopierten Rhythmen die ganze Tragik des Kreuzigungserlebnisses erschließen will, und das von dürsteren Streicherakkorden eingeleitete „Agnus”. Demgegenüber erklingt das „Be- nedictus” wieder in volksliedhafter Schlichtheit und Innigkeit.’ Zahlreiche Parallelen zu bekannten Mozart-Messen lassen sich unschwer feststellen. Der Anfang des „Kyrie” etwa erinnert an die Krönungsmesse, das öftere Wiederholen des Wortes „credo” an die Credomesse; das Wiederholen des Wortes „non” in dem Passus „non erit finis” endlich findet sich in vielen Mozart- Messen. Dies ist allerdings noch kein Beweis für die Echtheit der Messe; wir wissen, wie oft der Name unserer großen Komponisten noch zu ihren Lebzeiten mißbraucht worden ist. Die Messe könnte ebenso gut von einem geschickten Nachahmer stammen, der Mozarts Messen gut kannte und manches daraus verwertete. Es ist aber ebenso denkbar, daß hier in einem Jugendwerk Motive auftreten, die Mozart in späteren Werken wieder äufgegriffen und verwendet hat. Alle Argumente, die für oder wider die Echtheit dieses Fundes sprechen, anzuführen und gegeneinander abzuwägen, kann nicht Aufgabe dieses Aufsatzes sein; dies bleibt der Musikwissenschaft vorbehalten. Eines darf jedoch hier schon festgestellt werden: dem musikalischen Gesamteindruck nach scheint es mir nicht ausgeschlossen zu sein, daß die Messe echt, also ein Jugendwerk Mozarts ist.

Setzt man dies zunächst voraus, so erhebt sich die Frage, um welche der nicht erhaltenen Messen Mozarts es sich handeln könnte. Wenn man bedenkt, daß das Werk im Archiv jener ehemaligen „Waisenhauskirche” gefunden wurde, zu deren Einweihung am 7. Dezember 1768 der damals 12jährige Mozart seine erste Messe komponiert hat, so drängt sich von selbst die Vermutung auf, wir könnten die lange gesuchte und zuletzt (Aber-Jahn, Mozart 17153) als verloren betrachtete „Waisenhausmesse” vor uns haben, die der kleine Mozart bei der Erstaufführung in der heutigen „Maria- Geburt”-Kirche in Gegenwart des kaiserlichen Hofes selbst dirigiert hat. Ich nehme gleich vorweg: wir können nur die Vermutung haben, die nicht mehr und nicht weniger Wahrscheinlichkeit besitzt als alle anderen Kombinationen, die sich um diese Messe ranken. Mozarts Vater schreibt in einem Brief vom 12. November 1768 über diese Messe: .

„Am Feste der unbefleckten Empfängniß wird die neue Kirche des P. Parhiammer’schen Waisenhauses benedioirt werden. Der Wolfgang hat zu diesem Feste eine solenne Meß, ein Offertorium und ein Trompeten-Concert … componiirt und dem Waisenhause verehrt.” Und das Wiener Diarium berichtet über die Aufführung:

„Die ganze Musik des Waisenchor bey dem Hochamte wurde von dem wegen seinen besonderen Talenten bekannten Wolfgang Mozart, 12-jährigen Söhnlein des in fürstl. salzburgischen Diensten stehenden Kapellmeisters Hr. Leopold Mozart, zu dieser Feierlichkeit ganz neu verfasset, mit allgemeinem Beyfalle und Bewunderung, von ihm selbst aufgeführet, mit der größten Richtigkeit dirigiret, und hebst deme auch die Motetten gesungen.”

Es wäre durchaus denkbar, daß di Messe, die Mozart „dem Waisenhause verehrt” hat, auch am Waisenhause geblieben ist, ohne daß sich Mozart davon eine Abschrift nahm. Hier mag sie öfter aufgeführ und letzten Endes auch abgeschrieben worden sein. Die Auffindung einer unbekannten Mozart-Messe im Archiv der ehemaligen Waisenhauskirche könnte man somit schon als einen recht deutlichen Fingerzeig für ihre Identifizierung ansehen. Die kindliche Einfachheit und heitere Beschwingtheit dieser Messe lassen es überdies glaubhaft erscheinen, daß sie von einem 12jährigen Knaben geschrieben wurde. Dabei läßt sie auch den „solennen” Charakter nicht vermissen. Eine sichere Klärung dieser Frage ist jedoch bei der gegenwärtigen Quellenlage nicht zu erwarten. Die erste Aufführung der neuaufgefundenen Messe, die in der Pfarrkirche „Maria Geburt” anläßlich des 180. Jahrestages der Einweihung dieser Kirche im Rahmen eines Pontifikalamtes stattfindet, hat einem weiteren Kreis Gelegenheit gegeben, das Werk kennenzulernen und sich darüber ein Urteil zu bilden.

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