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Eröffnung der Konzertspielzeit

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Die heurige Konzertspielzeit beginnt spät und zögernd. Das ist durch ein gewisses Überangebot in der vorigen Saison und ein teilweises Nachlassen des Interesses in deren letzten Konzertmonaten zu erklären. Nun haben unsere beiden großen Institute ihr Tätigkeitsprogamm bekanntgegeben. Es läßt an Gediegenheit und Reichhaltigkeit kaum einen Wunsch offen. Änderungen und Ausfälle werden sich wohl auch in dieser Spielzeit nicht vermeiden lassen. Doch wenn uns nur der Grundstock der angekündigten Veranstaltungen erhalten bleibt, können wir zufrieden sein. Die beiden Programme — das mehr konservative der Gesellschaft der Musikfreunde und das mehr fortschrittliche der Konzerthausgesellschaft — ergänzen sich auf . das glücklichste, Daß beide Häuser mit zwei so gut vorbereiteten und interessanten Konzerten die Spielzeit eröffneten, wollen wir als ein günstiges Vorzeichen auffassen.

Im „De utschen Requie m" von Brahms wirkten die Wiener Symphoniker, der Singverein und die Solisten Irmgard Seefried und Paul Schöffler mit Alois Forer, Orgel, unter Herbert von Karajan zusammen. 1853 hatte Robert Schumann in seinem vielzitierten Aufsatz „Neue Bahnen“ über den jungen' Brahms geschrieben: „Wenn er . seinen Zauberstab dahin senken wird, wo ihm die Mächte der Massen, im Chor und Orchester, ihre Kräfte leihen, so stehen uns noch wunderbare Blicke in die Geheimnisse der Geisterwelt bevor.“ Unter dem Eindruck des Todes seiner geliebten Mutter hatte Brahms zum erstenmal seinen Zauberstab dahin gesenkt, und bald darauf waren die drei ersten Sätze des Requiems entstanden, welche 1867 durch die Gesellschaft der Musikfreunde tiraufgeführt wurden. Das Werk ist seither eines der beliebtesten der gesamten Chorliteratur, und schon im Laufe des Jahres 1869 wurde es nicht weniger als zwanzigmal aufgeführt. So konnte es auch in der ausgezeichnet studierten und von Karajan geleiteten Darbietung im ersten Abonnementskonzert wieder ergreifen und erheben.

Der Schweizer Dirigent Paul Sacher leitete im ersten Kammerkonzert ein kleines Ensemble der Wiener Symphoniker. Bachs Zweite Suite in h-moll für Soloflöte (C. Wanausek) und Streichorchester ist eines der liebenswürdigsten Werke des Cöthener Meisters. Zwischen Ouvertüre und Badinerie reihen sich Rondo, Sarabande, Bourree, Polonaise und Menuett in anmutiger, abwechslungsreicher Folge. Bedenkt man, daß diese hohe Kunst einstmals als „Unterhaltungsmusik“ gegolten oder gar getanzt wurde und vergleicht man mit ihr unsere zeitgenössische Unterhaltungsmusik, so könnte man Pessimist werden … Doch nein, es gibt auch in unserer Zeit junge und positive Kräfte, die uns das Beste erhoffen lassen. Einer unserer jüngsten Nachwuchspianisten, Friedrich Gulda, spielte den Solopart von Mozarts anmutigstem Instrumentalwerk, dem Klavierkonzert A-dur (KV 488). Gerade Jugend — oder allerreifstes Künstlertum — scheint berufen, dies apollinische Werk in seiner ganzen Reinheit und Schlackenlosigkeit zu vermitteln.

Eine ganze Welt — nicht nur der zeitliche Abstand von 150 bis 200 Jahren — liegt zwischen diesen Werken und der 1941 in Paris entstandenen SymphonieNr. 2 für Streichinstrumente von Arthur Honegger. Aus zögernden, stockenden Streicherfiguren ringt sich eine zaghafte Melodie los, die im Adagio mesto von einem sehr verhaltenen Klagegesang abgelöst wird. Erst im letzten Satz durchbricht, über lebhaften rhythmischen Figuren, eine Choralmelodie — von einer Solotrompete gestützt und unterstrichen — die Stimmung des Grau in Grau … Satztechnisch ein Meisterwerk von einfacher, organischer Form, die melodische Substanz — eher ein wenig dürftig, die menschliche Aussage —ehrlich, wie zumeist bei Honegger, und auf eine besondere Art ergreifend. Noch immer warten wir auf das große Werk von ihm, zu dem wir uneingeschränkt, nicht nur mit unserem Kunstverstand, ja sagen könnten. Sein Jeanne-d’Arc-Orato- rium und die Symphonie Liturgique scheinen Etappen auf diesem Wege zu einem hohen Ziel zu sein.

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