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Einems „Stundenlied“ und SchostakowitschsX.

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Im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks schrieb Gottfried von Einem ein vierzig Minuten dauerndes Chorwerk, das im März dieses Jahres in Hamburg uraufgeführt wurde. Die Wiener Premiere fand am vergangenen Freitag unter der Leitung von Ferenc F r i c s a y mit der Wiener Singakademie, den Sängerknaben, den Symphonikern und dem Tenor Waldemar Kmentt statt. Fünf Strophen des neunteiligen Textes sind identisch mit dem „Horenlied“ aus dem Theaterstück „Mutter Courage“. Vier weitere hat Bertolt Brecht zwecks Erweiterung des Textes hinzugedichtet, ferner einen refrainartig wiederkehrenden Vierzeiler, welcher lautet: „Lauft’s, ihr Leut’, dort seht’s ihn schon Zwischen die Folterknechtl Weil er hat die Wahrheit g’sproch’nf G’schieht ihm recht! G’schieht ihm recht!“ In dieser altertümelnden Manier wird, von Stunde zu Stunde — daher der Titel —, die Passionsgeschichte erzählt. Dieser Refrain erinnert an die Turba-Chöre bekannter Passionsmusiken, an die sich Einem auch sonst 6tark angelehnt hat: bis zur Stilkopie und Parodie, wobei wir das Wort in seiner ursprünglichen Bedeutung verstanden wissen wollen. Bei der Komposition dieses merkwürdigen, eher an Billinger oder Orff erinnernden Textes, hat der Komponist auf Soli und Rezitative verzichtet. Dafür ist der große Chor sehr differenziert behandelt und wirkt, trotz der rhythmi-

schen Gleichartigkeit der Kurzstrophen und des achtmal wiederkehrenden Refrains, nie gleichförmig. Hier war ein Virtuose am Werk, der eine klanglich und strukturell hochinteressante Partitur schrieb, dessen Musik freilich vom Text ebensoweit distanziert ist wie Brechts Gedicht von seinem Gegenstand. Das äußert sich vor allem in der allzu gefälligen Har- moniR und Melodik, zuweilen auch in allzu munteren und flotten Rhythmen, die etwa der Stelle: „Bald wird Gail’ in seinen Mund Mit Essig gelassen“ wenig angemessen erscheinen. Die Aufführung ließ keinen Wunsch offen. (Den ersten Teil des Programms bildete Kodálys „Psalmus Hun- g a r i c u s“, ein Meisterwerk der neueren ungarischen Chorliteratur und ein Standardwerk des Interpreten Ferenc Fricsay.)

Im Großen Musikvereinssaal leitete Herbert von Karajan eine Aufführung von Dimitri S c h o- stakowitschs X. Symphonie. Dem 50Minuten dauernden Werk hat Aram Chatschaturian, der Mitstreiter des hochbegabten Sowjetkomponisten in den Auseinandersetzungen mit den Dogmatikern des „sozialistischen Realismus“, die folgende Charakteristik mitgegeben: „Vor allem handelt es sich hier um eine echte Symphonie, um ein durch und durch bekenntnishaftes Werk von philosophischem Inhalt und starker Gemütsbewegung.“ Das trifft nicht nur auf den gewaltigen musikdramatischen ersten Satz (von 22 Minuten) zu, sondern auch auf das (nur vier Minuten dauernde) „Scherzo in Marschgestalt, das ein Abbild der dem Menschen feindlichen Zerstörungskräfte zu geben versucht“. Ebenso originell ist das mehr lyrische, vor allem in einem kurzen Ostinatoteil fesselnde Allegretto, während der Schlußsatz, nach gehaltvoller Einleitung, in den obligaten, etwas lärmenden Fortschrittsjubel mündet. Im ganzen: ein imponierendes, eindrucksvolles sym phonisches Werk, das sein großes Vorbild — Gustav Mahler — nicht verleugnen kann und das dem Dirigenten Karajan besonders liegt. Die Symphoniker haben das schwierige Stück hervorragend gespielt. (Im ersten Teil des Programms: Beethovens Konzert für Klavier und Orchester op. 58 G-dur, Solistin Annie Fischer.)

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