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Zu Gott auf dem Kamel

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Auch auf Kamelen kann man Gott entgegenreiten. Was einst die Weisen aus dem Morgenland getan haben, kann heute jeder Ägypten-Tourist am Fuß des Dschebel Musa, des Mose-Berges, tun: sich um 100 Schilling ein Dromedar mieten und um drei Uhr früh losreiten, um rechtzeitig vor Sonnenaufgang um 6.30 Uhr auf dem Gipfel zu stehen.

Nach zwei Stunden Serpentinenritt erklärt der Kamelführer das Ende der Buckelreise für gekommen; die letzte Stunde ist in den zerklüfteten Höhen des 2.285 Meter hohen Gottesberges („Ho-reb" nennt die Bibel ihn) auf in den Fels gehauenen Stufen zurückzulegen, die derzeit eine dünne, eisglatte Schneeschicht bedeckt.

Hier hat Jachwe zu Mose gesprochen. Hier hat der Prophet mit seinem Gott und seinem Volk gerungen, 40 Tage und 40 Nächte lang, in ständigem Hin und Her zwischen dem Unaussprechlichen, der in Blitz und Donner, Hörnerschall und Rauchwolken sein Gebot verkündete, und dem zweifelnden, murrenden, bald unterwürfigen, bald aufbegehrenden Volk.

Was eröffnet sich dem müden Wanderer von heute, wenn er in dunkler Nacht seinem Gott entgegengeht und später von seiner Sonne geblendet wird? Das Naheliegende: Daß der Weg zu ihm mühsam, beschwerlich ist. Daß ihn jeder nach seinem Vermögen gehen soll: demütig zu Fuß, wenn er dafür gebaut ist, aber auch nicht zu hochmütig, um die Dienste eines Kamels in Anspruch zu nehmen. Und daß sich das Gebot des Herrn stets aufs neue im Dialog erschließt. Gott ist ein Gesprächspartner des Menschen. Er setzt ihm ein Gesetz nicht einfach vor, sondern er läßt mit sich darüber im Gewissen reden. „Das sind die Worte, die du den Israeliten mitteilen sollst", lesen wir im Buch Exodus (19-14). „Das ganze Volk antwortete einstimmig ... Mose überbrachte dem Herrn die Antwort des Volkes" ... „Mose redete, und Gott antwortete im Donner."

Die 5.000 und mehr Jahre alten Zeugnisse der ägyptischen Kultur überwältigen Europäer und stimmen bescheiden. Die Intensität des ägyptischen Jenseits- und Ewigkeitsglaubens fasziniert und beschämt uns Heutige. Aber das damalige Verschmelzen von Gottes-und Königsmacht, die Monumen-talisierung der Herrscher und die Instrumentalisierung der Beherrschten machen frösteln. Nach solcher Erfahrung war der Gott der Israeliten, der mit einfachen Menschen redete und Schafhirten zu seinen Propheten machte, ein gewaltiger, entscheidender Schritt nach vorn, vor dem die Pharaonen in der Tat erzittern mußten.

Juden und Christen beten zu einem menschlichen Gott, der uns lockt und umwirbt, der liebt und vergibt, der gewiß auch tadelt und zürnt, der aber immer versteht. Genauso müssen jene zu sein und zu handeln versuchen, die in seinem Namen auftreten, um Wahrheit, Hoffnung und Liebe zu künden.

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