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Beamtenstreik

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Der Österreicher Ferdinand Hinbestellt erwacht eines Morgens. Ein schwerer Druck liegt auf seinem Herzen.

Er hat an diesem Tage: a) einen wichtigen eingeschriebenen Brief abzusenden, b) einen Postscheck zu beheben, c) um Stundung der Einkommenssteuer pro 1926 nachzusuchen, d) sich einen neuen Paß zu beschaffen, da der -alte abgelaufen ist.

Noch im Halbschlaf umschwirren sein Ohr die Worte: „... da gengan S' dritte Stiege, zweiter

Stock, Abteilung 34, lassen S' sich's abstempeln, gehen dann hinüber, Hauptportal links, zweite Stiege, vierter Stock, Abteilung 17 ... am Montag mit dem Herrn Referenten sprechen ... Gesuch ans Landesgebührenzuschlags-bemessungsamt... Sittenzeugnis... Wann S' ein Siebenundachtziger sind, müssen S' in die Sechserabteilung... Impfschein ... mir san net wegen Ihna da ... Damit gengan S' jetzt Boerhavegasse Nr. 11, und da warten S\ bis wir Ihna anrufen... Der Herr Referendarinspizient läßt sagen, Sie sollen am Nachmittag kommen ... Nach halb drei keine eing'schriebenen Briefe mehr ... zweite Stiege, erster Stock, 39 ...“

Ferdinand Hinbestellt steht auf, zieht sich das dickste Lodengewand an, Kniehose, Stulpen, den Wetterkragen, ein doppeltes Hemd...

„Wohin gehst, Ferdl?“ fragt die Gattin. i

„Zur Hauptfinanzlandesbezirkspolizeisteuerkommission...“

„Schreibst uns a Karten?“

„In drei, vier Tag bin i eh z'ruck...“

Frau Hinbestellt schnallt dem Gatten den Rucksack um, drückt ihm das zusammenklappbare Stockerl in die Hand, stopft ihm in den Rucksack- eine Salami, eine Büchse Sardinen, zwei Orangen und eine Nummer der „Kronen-Zeitung“. Den Bergstock zur Seite, stapft er hinaus.

Hauptpostamt, Abteilung für rekommandierte Briefe. Hinbestellt schnallt den Rucksack ab, breitet den Hockstuhl auf, ziehts die „Kronen-Zeitung“, sein illustriertes Leibblatt, heraus. Dann nähert er sich dem Schalter.

„Bitt schön, es handelt sich um einen Brief...“

Jetzt wird, denkt er, der Beamte sagen: „Nach halb vier Schalter 6, dann Schalter 3, Briefmarken ...“

Aber der Beamte sagt bloß: „Geben S' her!“

„Und nachher?“

„Was nachher? Die Sache ist erledigt!“

„Ist's nicht zu spät?“

„Nein.“

„Richtig frankiert?“

„Was wollen S' denn, i sag Ihnen doch: erledigt!“

Hinbestellt kann sich nicht enthalten, leise, fast schuldbewußt zu fragen: „Ja, wieso?“

Der Beamte raunt ihm bedeutsam ins Ohr:

„Sie wissen net? Lesen S' keine Zeitungen?“

Hinbestellt hat keine Zeitungen gelesen. Die „Kronen-Zeitung“ liegt noch unentfaltet.

Aber was ist, was hat er angestellt, der arme Hinbestellt? Er packt Rucksack und Sessel zusammen, marschiert zum Paßamt. Uber einer Tür steht in großen Lettern: „Paßbureau“.

„Ich bitt schön“, sagt Hinbestellt zu dem hier sitzenden Beamten — es ist hur einer hier, wahrscheinlich der Diener —, „an wen muß ich mich denn wenden behufs Erteilung zwecks Auskunft betreffs Erlaubnis rücksichtlich Ansuchens zur Ausstellung eines neuen Passes?“

„Wie reden S' denn? ... Geben S' den alten Paß her, hier kriegen S' gleich den neuen!“

„Per Post?“

„Nein, hier direkt von mir, in drei Minuten.“

Dem Hinbestellt fällt die Salami aus dem Rucksack. Er findet in dieser befremdenden Situation bloß, die Worte: „Muß i Straf zahlen?“

„Wofür“, lächelt der Beamte, „weil S' den Paß kriegen?“

Hinbestellt wagt es, aus dem Traum, in dem er sich offenbar befindet, drei Schritte in die Wirklichkeit vorzutreten, hart ans Ohr des Beamten:

„Ich bitt, was ist denn?“

„Ja, lesen S' keine Zeitungen? Wissen S' nicht, was los ist? Sie sind mir ein schöner Österreicher!“

Hinbestellt simuliert Verständnis, nimmt den Paß entgegen, wandert zunächst zum Postscheckamt, wo er ein und dasselbe erlebt. Als er zum Einkommensteueramt kommt, ist seit dem Verlassen des Hauses nicht mehr als eine halbe Stunde vergangen. Diesmal handelt sich's um Stundung!

Er packt seine dreißig abgegriffenen Papiere zusammen und ist trostlos. Das wichtigste fehlt ihm: der Impfschein des Vaters!

Er verhehlt seine diesbezüglichen Bangnisse dem ersten Beamten nicht.

„Was“, schreit ihn dieser an, und Hinbestellt erwacht in diesem Augenblick aus seinem unösterreichischen, ja staatsunterwühlenden Traum. „Was? Der Impfschein des Vaters? Wo leben wir? In Indien?“ Hinbestellt erzittert. Und der Beamte fährt tobsüchtig fort: „Was haben S' da in der Hand? Was ist das für ein schmieriges Papierlzeug? Her damit!“ Er reißt ihm das heilige, hundert-achtzigfach abgestempelte Bündel aus der Hand, zerfetzt es in tausend Stücke, trampelt wie ein Rasender drauf herum und sagt: „Das hat sich Gott sei Dank jetzt aufgehört!“ Und barsch hinterdrein: „Die Stundung ist bewilligt!“

Das ist zuviel. Es trifft Hinbestellt, der sich gerade wieder anschicken wollte, zu fragen: „Was ist denn los heute?“ und die Antwort darauf vorher wußte: „Ja, lesen S' denn keine Zeitungen?“ wie ein Schlag auf die Brust, daß er momentan aus dem Schlaf emporfährt, vor sich auf der Bettdek-ke die auseinandergefaltete „Kronen-Zeitung“, deren Lektüre er auf einen Nach-Nicker unterbrochen, mit der quer über die Seite strotzenden faustdicken Uberschrift:

Heute Beamtenstreik!

Aus: LUFTLINIEN. Von Anton Kuh. Lök-ker Verlag 1981. 540 Seiten, Ln., öS 298,-.

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