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Bloß eine Spielwiese des Zeitgeistes

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Wenn sich die Reformvorschläge des Unterrichtsministers Rudolf Schölten durchsetzen, wird ab dem Schuljahr 1993/94 jeder Elfjährige mehrere Entscheidungen treffen müssen. Im Rahmen der sogenannten Schulautonomie wird bereits der Volksschuler seine Zukunft planen und zwischen verschiedenen fachlichen Schwerpunkten in Gymnasien oder Hauptschulen wählen können.

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Wenn sich die Reformvorschläge des Unterrichtsministers Rudolf Schölten durchsetzen, wird ab dem Schuljahr 1993/94 jeder Elfjährige mehrere Entscheidungen treffen müssen. Im Rahmen der sogenannten Schulautonomie wird bereits der Volksschuler seine Zukunft planen und zwischen verschiedenen fachlichen Schwerpunkten in Gymnasien oder Hauptschulen wählen können.

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Welchen Schwerpunkt eine Schule setzt und ob überhaupt ein bestimmtes schwerpunktmäßiges Lehrziel verfolgt wird, soll der Schulgemein-schaftsausschuß entscheiden. Dieses Gremium wird auch über die Fünf-Tage-Woche zu entscheiden haben. Auch da soll der Elfjährige wählen können. Zusätzlich erhalten die Länder die Möglichkeit, Herbstferien einzuführen.

Als etwas Schillerndes, Vages, nicht so rasch Konstruierbares hat jüngst der Wiener amtsführende Stadtschulratspräsident Kurt Scholz die ministeriell so sehr gewünschte Schulautonomie (FURCHE-Interview mit Minister Rudolf Schölten darüber bereits in Nummer 3/1992) bezeichnet. Der höchste Wiener Beamte für den Schulbereich gab vor Eltern im Albertgymnasium im 8. Bezirk zu, die ganze Debatte über Schulautonomie „nur halbherzig mitgemacht" und „innerlich noch nicht vollzogen" zu haben. Was Elternvertreter längst wissen und Schüler größtenteils kalt läßt, ist für Scholz „eine zeitgeistige

Spielwiese", Schulautonomie irgendwie als Allheilmittel für Gegenwartsschulprobleme zu sehen.

Noch ist nicht klar, welche inhaltliche Ausgestaltung der Autonomie seitens der Regierungsparteien im Dezember ausgehandelt und den Schulen zur Umsetzung (ist das nicht ein Widerspruch in sich?) zugestanden werden soll. Allgemein - so Scholz -könne er sich mit größerer Autonomie im Sinne stärkerer Dezentralisierung und Deregulierung wohl anfreunden; in konkreten Fragen sieht er jedoch enge Grenzen auftauchen. Wäre die Integration ausländischer Kinder schulautonom gelöst worden, hätte es nach Meinung des Stadtschulrats-präsidenten wohl keine so großartigen Leistungen diesbezüglich gegeben.

Ebenso wären bei weitgehender Schulautonomie der Aufnahme behinderter Kinder bald Grenzen gesetzt, ganz schlimm stünde es um HIV-positive Kinder. Bisher konnten die Schulen einfach auf die Zentrale schimpfen, wenn es mit Finanzierungen, in Personal- und pädagogischen Fragen nicht weiterging; Schulautonomie bedeutet nach Schölten, in einem schmerzhaften Prozeß selber Prioritäten in verschiedensten Bereichen zu setzen.

Scholz fügt hier gleich eine weitere Kritik hinzu: „Man darf Schulautonomie nicht zu einem Mittel der Mängelverwaltung werden lassen, daß also die Schule nur darüber entscheiden darf, was zu wenig ist." Einen der „skandalösesten Zustände" (Scholz) im Wiener Schulbereich, den Bauzustand der Schulen, wird Schulautonomie nicht beseitigen können.

Also, wofür steht Autonomie dann?

Scholz sieht darin einen Gestaltungsrahmen für den pädagogischen, personalen, finanziellen und Verwaltungsbereich. Schulen könnten künftig ihren Stundenplan flexibler gestalten, sich schwerpunktmäßig profilieren. Personalentscheidungen sollen künftig zwar nicht der Direktion oder dem Schulgemeinschaftsaus-schuß überlassen bleiben, bestimmte Entwicklungen aber längerfristig der Schule überlassen werden. Im Ver-waltungs- und im finanziellen Bereich erwartet sich die Behörde durch die Autonomie ein stärkeres Kostenbewußtsein.

Scholz deklarierte sich als Gegner eines Sparkurses an Schulen. Er bezeichnete es als „alarmierend", daß die Fähigkeit zum sozialen Ausgleich - Erziehungsaufgabe der Schule -immer mehr schwinde, die Öffentlichkeit zwar vieles in die Schule hineinprojiziere, gleichzeitig aber eine große Diskrepanz zwischen elterlicher Erwartungshaltung und elterlicher Bereitschaft bestehe, für das Kind etwas zu leisten.

Schülervertreter erheben vor allem hinsichtlich der Ferienordnung weitergehende Forderungen, so zum Beispiel auch bei den Herbstferien eine schulautonome Lösung. Über die Fünf- Tage-Woche sollten ihrer Meinung nach überhaupt die Klassen (!) selbst entscheiden. Freilich, über die organisatorische Durchführung ist man sich nicht im klaren, gibt der Bundesschulsprecher Ronny Hollenstein, ein Vorarlberger, zu. Schulautonomie dürfe nicht zum Instrument der Einsparung werden, warnt Hollenstein. Allgemein sprechen sich die Schülervertretungen gegen eine zentrale Einführung der Fünf-Tage-Woche aus; doch dies sei nie zur Debatte gestanden, meint der Bundesschulsprecher. In den Medien werde es immer so dargestellt, als sei die Einführung verpflichtend, kritisiert man seitens der Schülervertretung.

Bezüglich der derzeit laufenden „Lehrplanentrümpelung" zeigt sich der Bundesschulsprecher „ganz begeistert", da es eine alte Forderung der Schülervertreter ist, die nun in Erfüllung geht. Hollenstein spricht lieber von „Konkretisierung". Es werde dabei festgestellt, was im Unterricht tatsächlich vermittelt, was tatsächlich wichtig sei und wo man schulautonom einen gewissen Erweiterungsrahmen füllen könnte. Hollenstein befürchtet jedoch, daß man auf die Schulbücher vergessen werde, an denen sich die meisten Lehrer orientieren. Daher müßten die Schulbücher die Kern- und Erweiterungsstoffe ausweisen.

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