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Digital In Arbeit

Blunzen mit Senf und Kren

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Daß doch tatsächlich kleine Ur­sachen große Wirkungen haben können, habe ich vor einigen Tagen erfahren. Einer meiner besten Be­kannten, viele Jahre mit mir ver­traut, hatte kürzlich einen Heuri­gen entdeckt, von dem er ab diesem Tag schwärmte. Besonders und unübertrefflich, so lockte er mich, seien dort die Blunzen.

Und so war es gar nicht schwer, mich zu einem Besuch dieser Insti­tution zu überreden. Tatsächlich, an vielen Tischen sah man neben goldgelbem Wein die gepriesenen Blunzen auf den Tellern, angerich­tet auf die verschiedenste Art. Al­lein die Zahl der möglichen Varia­tionen zu zählen, wäre Arbeit eines Mathematikers.

Kalt, gekocht, gegrillt, letzteres mit oder ohne Haut, alles auf Wunsch im ganzen oder geschnit­ten, mit oder ohne Kraut, mit Senf, wobei wiederum zwischen süßem und scharfem Senf unterschieden wurde, mit Kren, frisch gerissen, auch mit Senf und Kren, mit Ge­bäck, was aber angesichts des reich­haltigen Körberls nicht so einfach abzutun war, denn Kornweckerln, Wachauerlaberln, Dinkelkipferln, Vintschgerln, Kaisersemmeln und Salzstangln konkurrierten mit Haus-, Bauern-, Mehrkorn-, Land-und Weißbrot, ja sogar in Essig und Öl, mit oder ohne Zwiebel, wobei die Zwiebel fein gehackt oder in vollkommenen Ringen angeboten wurde, das Angebot überschlug sich.

Es war eine Blunzenphilosophie schlichtweg, die dem Lokal ein eigenes Flair verlieh, ich gestehe es ein.

Das Beste, sagte mein Bekannter, als wir am Büffet standen, sei ge­grillte Blunze, in der Mikrowelle angeprasselt, mit Estragonsenf und Kren. Ich nickte interessiert, ließ ihm den Vortritt und bestellte für mich Gorgonzolaaufstrich, Früh­lingskäse und zwei Kornweckerln. Den Einwand meines Bekannten, daß man hier und jetzt dieses Eta­blissement doch speziell wegen sei­ner exquisiten Blunzen besucht habe, tat ich mit dem Hinweis ab, daß mir heute leider nicht nach dieser sei und daß mir darüber hinaus just der Anblick der Auf­striche das Wasser im Munde habe zusammenrinnen lassen. So war's, was sollte ich tun.

Ich hatte den Mann bislang für einen umgänglichen, toleranten Menschen gehalten. Doch kaum am Tisch angekommen, ich wollte eben den köstlichen Gspritzten loben, überhäufte er mich mit Vorwürfen. Es war nicht zu fassen. Seine Blut­wurst vor sich, konnte er sich, Bis­sen für Bissen mit Senf und Kren überhäufend und wild in ein Wa­chauerlaberl beißend, nicht der Verwunderung enthalten, wie man denn an diesem Zielpunkt etwas anderes als eben nur diese vor ihm stehende Kombination zu sich neh­men könne. Als ich gar, ich gebe zu, ein wenig provokant, eine angebo­tene Kostprobe ausschlug, war's aus.

Ich hätte allzu gern, gemütlich zurückgelehnt, mit dem ansonsten Klugen über manches gesprochen, dem frühherbstlichen Sonnen­schein und dem noch frischen Gras hingegeben. Aber ich konnte es nicht mehr. Er war böse.

Das Weltbild meines Gegenüber war von Blunzen mit Senf und Kren überlagert, ich war durch meine heutige Ablehnung für ihn zur Unperson, Jahre der Harmonie waren nichtig geworden.

Anfangs war ich bekümmert, dann zog ich die Lehre.

So nehme ich mir vor, nach und nach mit all meinen Freunden in ihr Lieblingslokal zu gehen. Ich werde es gerne hören, daß sie, es gutmeinend, mir ihre Vorzugsspei­se empfehlen, die ich dann nicht bestellen werde. Und je nach Reak­tion werden sie meine Freunde blei­ben oder sie werden mir, wie wir in Wien so schön sagen, fortan Blun­zen sein.

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