7039295-1990_10_08.jpg
Digital In Arbeit

Das Feindbild im Taxi

Werbung
Werbung
Werbung

Vor dem Hotel stehen die Taxis. Ich gehe zum ersten. Der Fah­rer kurbelt das Fenster herunter. Ich stutze einen Augenblick. (Taxi­fahrer ist nicht gleich Taxifahrer.)

„Bringen Sie mich bitte zum Westbahnhof?"

„Gern."

Ich steige ein.

Wir kommen in ein Gespräch, das wohl keiner von uns so erwartet hat. Anlaß dazu ist das kleine Schild im Auto mit der Aufschrift „Rau­chen verboten".

„Das kostet Sie sicher einige Kundschaft?"

Er zuckt die Achseln. „Wissen Sie, vielen ist das ganz egal. Sie rauchen trotzdem, als könnten sie nicht lesen. Die Asche verstreuen sie auf den Boden und die Sitze. Schau'n Sie..." Er zeigt auf mehre­re löcherige Brandstellen in den Polstern. „Das ersetzt mir niemand. Und ich muß ja auch an die saubere Kleidung der nächsten Fahrgäste denken."

„Sind Sie Ausländer?"

„Ja."

„Wo haben Sie so gut Deutsch gelernt?"

„Ich arbeite seit vielen Jahren in Wien."

„In diesem Beruf?"

„Ja. Aber erst jetzt." Und er er­zählt, daß er studiert hat, daß er Notzeiten erlebt hat, in seinem Beruf nicht mehr arbeiten konnte und aus der Not eine Tugend mach­te, indem er ein, eigenes Unterneh men gründete.

„Sie sind also jetzt Arbeitgeber?" Er nickt und erzählt, daß die Öster­reicher gern bei ihm arbeiten. Als ich nach den Gründen frage, sagt er: „Ich bin kein Boss, sondern ein Mensch, der mit Menschen zusam­menarbeitet. Ich zahle meine Mit­arbeiter gut und gebe ihnen genug Freizeit. Wenn sie Schwierigkeiten haben, kommen sie zu mir und wir besprechen alles. Wir haben Ver­trauen zueinander. Um so schlim­mer sind die Verhältnisse in unse­rem Beruf, die sich immer mehr zuspitzen."

Ich erfahre, daß es in Wien vier große Taxizentralen gibt und in letzter Zeit käme es immer häufiger vor, daß es beim Ruf eines Taxis nachdrücklich heißt: „Nur Inlän­der!"

„Das ist nicht nur eine Ver­schlechterung des sozialen Klimas. Das ist Diskriminierung", sagt er.

„Wo leben wir denn?", denke ich laut.

„In Wien", sagt er bitter, „im zwanzigsten Jahrhundert. Im Zeit­alter der Bewältigung der Vergan­genheit, im Zeitalter der .Bekämp­fung von Feindbildern'. Theorie und Praxis klaffen weit auseinander."

„Wie wehren Sie sich?"

„Wir haben einen Verein gegrün­det .Gegen Diskriminierung aus­ländischer Taxifahrer'. Sehr opti­mistisch sind wir nicht, aber ent­schlossen, etwas zu tun gegen Ver­leumdung und Hetzkampagnen. Es ist Notwehr, die uns dazu zwingt."

Wir halten vor dem Westbahn­hof. Ich zahle. Er zieht ein Papier aus der Tasche.

„Ich will Sie nicht belästigen. Aber es schien mir, als interessiere Sie das."

Es ist die Einladung zur General­versammlung des Vereins und ein Bericht über die gegenwärtige Si­tuation. Ich gebe dem Fahrer meine Adresse.

„Informieren Sie mich über die weitere Entwicklung und Ihre Er­fahrungen. Ich möchte versuchen, Ihnen zu helfen."

„Wie?"

„Über die Presse. Durch sachli­che Information." Er lächelt resig­niert. „Das wird nicht viel nützen."

„Egal", sage ich, „man muß es trotzdem versuchen. Schließlich gibt es hier und da noch ein paar vernünftige Menschen."

Wir verabschieden uns. Ich wün­sche ihm eine gute Zeit.

Einen Tag später lese ich in ei­nem Zeitungsbericht über die Wie­ner Regionalkonferenz des öster­reichischen PEN-Clubs ein Presse­gespräch mit dem Generalsekretär des Internationalen PEN-Clubs. Alexandre Blokh, und ein Loblied auf die Stadt: „In Wien ist niemand ein Ausländer oder Fremder..."

Das sollte sich herumsprechen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung