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Das Psycho-Präjudiz

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Ob früher oder später die Gesamtschule der Zehn- bis Vierzehnjährigen die heutige Hauptschule und die Untermittelschulc überflüssig machen wird und beide Schultypen in einer einzigen aufgehen werden, ist noch ungewiß. Zwar laufen diesbezügliche Schulversuche, Ergebnis liegt aber noch keines vor

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Ob früher oder später die Gesamtschule der Zehn- bis Vierzehnjährigen die heutige Hauptschule und die Untermittelschulc überflüssig machen wird und beide Schultypen in einer einzigen aufgehen werden, ist noch ungewiß. Zwar laufen diesbezügliche Schulversuche, Ergebnis liegt aber noch keines vor

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Gewiß ist hingegen, daß derzeit in Wien bereits an einer Gesamtschule gebaut wird: Im 23. Wiener Gemeindebezirk kündet zumindest eine Bautafel davon. Dieser Bezirk — Liesing — hatte bisher noch kein Gymnasium, doch wurde ein derartiger Schulbau im Gebiet Zeller-gasse/Waisenhorngasse geplant. Der Flächenwidmungsplan sieht für diesen Standort eine allgemeinbildende höhere Schule und eine Pflichtschule vor.

Nunmehr sollen beide Fliegen mit einem Schlag getroffen werden: 20 Klassen des Großbauvorhabens — die je 36 Schüler fassen sollen — stehen für Schüler der 5. bis 8. Schulstufe zur Verfügung, Hauptschüler und Untermittelschüler werden also dort künftig gemeinsam unterrichtet.

Ohne den Stab über die Gesamtschule brechen zu wollen, muß doch gesagt werden, daß dieser Schulbau nicht unkritisch hingenommen werden darf. Nicht die Tatsache, daß “hr und neuer Schulraum gesohnffen wird, soll kritisiert werden, sondern die Tatsache, daß durch die Namensgebung für diesen Schulbau die Schulreform psychologisch prä-judiziert wird.

Der Schulbau selbst ist — wie gesagt — zu begrüßen, denn auch Wien leidet unter chronischem Schulraummangel. Ja es ist sogar so, daß heute viele Schulen der Bundeshauptstadt infolge der überfüllten Klassenzimmer den erforderlichen Sicherheitsbestimmungen nicht mehr entsprechen. Schulen, deren Stiegenhaus feuerpolizeilich beispielsweise für 500 Schüler zugelassen ist, die aber derzeit an die 800 Schüler aufnehmen, sind keine Seltenheit.

Es ist nur zu hoffen, daß der Sicherheit beim Gesamtschulbau ein gebührender Platz eingeräumt wurde: Denn für diese Schule sind insgesamt 40 Klassen projektiert, was bei voller Ausnützung des Raumes nahezu 1500 Schülern entspricht. Eine solche Monsterschule ist allerdings auch nicht das, was die Pädagogen zu Begeisterung veranlaßt, man spricht im Gegenteil sogar auch in Kreisen des Wiener Stadtschulrates von einem „pädagogischen Unsinn“. Will man das Leben in der Schule und damit den Kontakt zwischen Schülern und Lehrern einerseits sowie zwischen Lehrern und Schulleitung anderseits effektiv gestalten, so sicherlich nicht durch derartige „Bildungsfabriken“.

Diese Überlegungen — auch wenn sie eigentlich in einer Zeit der Schulreform bei Neubauten eher baulich Berücksichtigung finden sollten als eine Gesamtschule — scheinen aber die verantwortlichen „Bildungsherren“ nicht angestellt zu haben. Ein ähnliches Projekt — nur ohne den Hinweis „Gesamtschule“ — läuft nämlich auch im 21. Wiener > Gemeindebezirk auf vollen Touren.

Der Vorgriff auf eine gesetzliche Regelung für die Gesamtschule beim Liesinger Schulbau hat immerhin bereits bei der Elternschaft dieses Bezirkes einige Unruhe ausgelöst. Viele Eltern werden, das verlautet vom dortigen Elternverein, ihre Kinder an andere Schulen schicken, in denen die Untermittelschule gesondert geführt wird, weil sie ihre Kinder nicht als „Versuchskaninchen“ unterrichtet wissen wollen. Vielleicht rächt sich somit die „psychologische Präjudizierung“ ganz gegen das Interesse der Gesamtschulreformer. Es könnte nämlich sein, daß alle jene, die für ihr Kind den Bildungsweg „Gymnasium“ gewählt haben, eine andere Schule aufsuchen, während in der Gesamtschule dann heutige Hauptschüler bleiben. Daraus aber einen Vergleich ablesen zu können, ob sich die Gesamtschule bewährt oder nicht, scheint schwierig.

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