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Der Schrank im Jugendstil

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Einer jener Zufälle, die sich manchmal in Zeiten der Not ereignen, hatte mich mit dem Leiter einer Hilfsorganisation zusammengeführt; ich hatte ihm von meinen Hoffnungen und Sorgen erzählt. Brauchen Sie Möbel, hatte er mich wohlmeinend gefragt und ich hatte sofort mit Ja geantwortet, obwohl die nötigen Räume für Möbel noch gar nicht vorhanden waren.

Suchen Sie aus, was Sie brauchen, sagte der freundliche Mann, ich freue mich, wenn ich Ihnen helfen kann.

Ich stand in der Tür des Magazins, das durch zwei elektrische Birnen schwach erleuchtet war, und ließ meine Augen über Tische, Stühle, altmodische Kästen und Sofas, über Nachtkästchen und Waschkommoden mit Marmorplatten wandern, sah im Halbdunkel Geschnitztes und Gedrechseltes, zu Stapeln geschichtete Militär betten neben phantasievoll geschwungenen Polstersesseln mit zerfranstem Bezug. Der Krieg war vorbei, die Währung reformiert, da und dort machte sich schon wieder Wohlstand breit, und je dunkler die Quellen waren, aus denen er floß, desto ausgeprägter war das Bedürfnis, ihn auch zu zeigen, sich neu und prächtig einzurichten, je prächtiger, desto besser. Weg also mit von den Bomben verschontem Gerumpel, mit Schubladkasten und Küchenkredenz, mit von den Alten Ererbtem, dem neuen Lebensgefühl nicht mehr Gemäßem. Die neue Zeit verlangte nach neuen Formen und Farben.

Was sich nicht so einfach zu den Müllplätzen bringen ließ, spendete man wohltätigen Organisationen. Freiwillige Helfer schleppten die sperrigen Stücke aus den Wohnungen, luden sie auf Lastwagen auf, bedankten sich dafür im Namen der Armen, der Ausgebombten, der Flüchtlinge.

Wer seine ersten Gehversuche zwischen alten Kommoden und Schränken unternommen hat, wer sich als Kleinkind dauernd an zu dicht gestellten alten Möbelstücken stieß, bleibt auch ohne genaue Kenntnis der Stüe ein Leben lang anfällig für unmodern gewordenes Mobiliar. Ich war aufgefordert worden, auszuwählen, was ich dringend brauchte, und wählte ein Zwillingspaar flacher Schränke mit geschnitzten Blumenornamenten und eingefrästen Ranken an den dunkel gebeizten Türen, einen schweren ovalen Tisch mit vom Gebrauch matt gewordener und vielfach zerkratzter Platte aus zweifarbigem Holz, drei Sessel mit hoher Lehne und einen kleinen Schreibtisch mit Messingbeschlag.

Nein, sagte Bernhards Mutter, sie setzte sich zur Wehr, wer konnte wissen, ob man mit den alten Möbelstücken nicht Ungeziefer einschleppte; es gab immer noch mehrere Arten davon in jenen Jahren. Auf den Dachboden mit dem alten Gerumpel, wenn man es überhaupt irgendwohin bringen mußte, denn daß man das Zeug besser dort gelassen hätte, wo es gewesen war, schien allen klar.

Erinnerst Du Dich daran, wie wir den Handwagen mit den alten Möbeln durch die halbe Stadt gezogen haben, sagt Bernhard, zweimal sind wir aus der Innenstadt hinauf zum Gürtel gefahren, dann mit dem leeren Handwagen wieder zurück, einmal mit den beiden Kästen, dann mit dem Schreibtisch und dem Tisch.

Es gibt ein Gedächtnis des Körpers, heute noch erinnern sich die Handgelenke an das Schüttern und Rumpeln, das sich von den mit Eisenbändern beschlagenen Holzrädern des Handwagens her über die Deichsel in die Arme, bis in die Schultern und in den Hals und Rücken fortsetzte, bis in die Zähne. Die Straßen Wiens waren zu jener Zeit zwar notdürftig wieder instand gesetzt worden, aber das Granitsteinpflaster war an vielen Stellen noch voller Buckel und Gruben. Ja, auch die Zähne , erinnern noch an jenen zweifachen Möbeltransport, dem später weitere Möbeltransporte folgen sollten.

Ja, sage ich, ich erinnere mich gut daran.

Zweimal sind die Stricke gerissen, einmal ist einer der Kästen vom Wagen gerutscht, weißt Du noch, mitten auf der Straße ist er gelegen, auf den Straßenbahnschienen.

Wir sind erschrocken, dann haben wir losgelacht. Die Straßenbahn ist gekommen, der Schaffner hat wie verrückt geläutet, die Bremsen haben gequietscht, er hat den Wagen gerade noch rechtzeitig zum Stehen gebracht. Der Schaffner ist aus dem Wagen gesprungen, auch er war erschrokken, wie hätte das enden können, es hätte ein Unglück geben können, warum wir den Kasten nicht sofort von den Schienen weggezogen hätten.

Ich kann nicht mehr, sagte ich.

Da hat der Schaffner den Rock ausgezogen und hat uns geholfen, den Kasten wieder auf den Handwagen hinaufzuheben.

Dreißig Jahre später kam meine Cousine Hanna, eine inzwischen erfolgreich gewordene Architektin, aus München zu Besuch in unser mittlerweile gebautes kleines Haus am Stadtrand von Wien. Mit dem Ausruf „Wo hast Du denn den schönen Jugendstilschrank gekauft?“ ging sie auf einen der Zwillings-schränke zu, in dem Bernhard seine Papiere aufbewahrt.

Ich sagte ihr, daß ich diesen Schrank, auch den zweiten, der nebenan im Keller steht, nicht gekauft habe. Man hat ihn mir geschenkt, sagte ich, weißt du, damals, als es uns schlecht gegangen ist, als wir arm waren, nach dem Krieg. Aber, sagte ich, das ist eine längere Geschichte.

Aus dem Roman „Die Früchte der Tränen“, der im Verlag Styria, Graz, erscheinen wird.

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