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Der Staatsbürger soll sich wehren und beschweren

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ICH bin der Meinung, daß Bürgerinitiativen etwas Gutes sind. Die bisher größten haben es erwiesen: das Rundfunkreform-Volksbegehren, das über die 40-Stunden-Arbeitswoche und die „Aktion Leben“. Demnach ist — um ein etwas bizarres Bild zu gebrauchen — von den im Sternwartepark gefällten Bäumen sozusagen der Bürgermeister Slavik heruntergefallen. Und fast wäre sein Nachfolger unter der Reichsbrücke begraben worden...

Aber wir sind der Meinung, daß die großen Volksbefragungen durch kleine, auf den ersten Blick sehr kleinlich erscheinende Maßnahmen oder Kundgebungen flankiert werden müssen. Ähn-

lich wie in der benachbarten Schweiz. Klein und geringfügig im Vergleich zu jenen Milliarden kostenden Schildbürgerstreichen, die sich speziell die Gemeinde Wien während der letzten Jahre geleistet hat. Aber der Leser, Hörer und Seher ist darüber so gut und gründlich informiert worden, daß man ihm die durch Leichtsinn, Fahrlässigkeit, Fehlplanung oder einfach mangelnde Sachkenntnis verursachten „Fälle“ nicht aufzuzählen braucht. Sie sind in aller Munde und erzeugen einen schlechten Geschmack.

Sodbrennen kann der kleine Mann auch bekommen, wenn er sich auf die gegenwärtigen Wiener Straßenbahntarife besinnt.

Und wofür? Auf was empor? Bei keinerlei merkbarer Verbesserung des Services kassiert man für einen normal an der Kasse gelösten Schein nicht weniger als zehn Schillinge. Die Eingeweihten fahren nur noch mit Vorverkauf sscheinen oder kombinieren sich's, tant bien que mal, mit Kurzstrecken. Zum Vergleich: In der Schweiz (Beispiel Basel) gibt es Fahrscheine zu 50 und 80 Rappen, der teuerste kostet einen Franken (in der Westschweiz derzeit billiger). In Holland (zum Beispiel in Amsterdam) kostete bis vor kurzem, als ich das letztenmal dort war, der Fahrschein einen Gulden. Aber man konnte ihn auch für die Rückfahrt benützen! Und Italien hat nach langem Zögern den Preis von 50 Lire, also fast umsonst, auf 150 Lire angehoben. Jeder »Urlauber kann sich ausrechnen, was das in Schillingen wert ist. Nur in einer Stadt der Bundesrepublik, die wir zu konsultieren Gelegenheit hatten, kassiert man einheitlich 1,10 D-Mark.

Doch was soll man dagegen tun, jetzt, da man stillschweigend diese Ausbeutung gerade des kleinen Mannes, der kein Auto (womöglich samt Chauffeur) besitzt, ohne Protest hingenommen hat! Und dies zu einer Zeit, da

mit den Slogans „Weg vom Privatauto, hinein in die öffentlichen Verkehrsmittel! Sie sparen Geld, Zeit und Nerven!“ geworben wird! Bei der nächsten Erhöhung also am besten: Streik als „Bürgerinitiative“ ... Aber dafür sind viele unserer Tram-ways ja mit köstlichen, zum Teil wenig ästhetischen, dafür aber schreiend bunten Reklamen geschmückt. Sie sind gewissermaßen zu fahrbaren Reklamewänden degradiert, während man für das „schöne Wien“ wirbt. Ja, aber gehört denn eine, auch äußerlich gutaussehende, Tramway nicht auch, zum Stadtbild? Bei uns verschandelt sie es, statt es zu verschönern.

Doch es gibt eine andere Kompensation. Es scheint bei manchen Schaffnern und Fahrern der Ehrgeiz zu herrschen, ihre Garnitur möglichst leer ins Depot, bzw. an die Endhaltestelle zu bringen. Unzählige Male habe ich es in Wien erlebt (und sonst nirgends), wie man dem vor der Eingangstür stehenden Fahrgast eben diesen Einstieg vor der Nase zusperrte. Bürgerinitiative: Wagen: nummer, Ort und Zeit genau aufschreiben und an die betreffende Dienststelle einsenden. Es wird zumindest, so hoffen wir, eine Rückfrage erfolgen. Besonderen

Dank daher jenen Fahrern, die, auch wenn bereits abgeläutet ist, noch drei Sekunden warten, bis ein hinterherkeuchender Ver- i kehrsteilnehmer den letzten Wagen erreicht hat. Und dringender Überprüfung bedürfen einige Verkehrsampeln an wichtigen Kreuzungen, wo man beim besten Willen als Fußgänger bei Grün nicht drüberkommt. Drei bis fünf Sekunden zu kurz! Kleinigkeiten? Aber aus diesen besteht das Leben.

Noch etwas anderes. Es gibt da einige Gaststätten, wo uninteressiert, langsam bis unhöflich bedient wird. Jeder Gast mit offenen Augen kann beurteilen, ob es an Arbeitskräften oder an gutem Willen fehlt. Für den letzteren Fall empfehlen wir: sofortige Reklamation beim Chef. Auch was sich manche Beamte bzw. Angestellte hinter Schaltern leisten, macht den Eindruck, daß sie völlig vergessen haben, daß sie für ihre Dienste bezahlt werden und nicht aus Gefälligkeit amtieren. Unser Rat: Höflich daran erinnern. Und das Fernsehprogramm während der letzten Monarte? Mit acht Krimis in einer Juli-Woche? Doch damit haben wir den Rahmen unseres „kleinen Beschwerdebriefkastens“ bereits überschritten.

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