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Der Wortschieber

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Womit kann sich der Mensch heute noch von anderen un- terscheiden, positiv natürlich, „abheben" gar? Früher war das leicht, weil früher war ja alles leich- ter. Da gab es reichlich Möglichkei- ten: die Kleidung zum Beispiel, die Handwaffen, die Fortbewegungs- mittel, ja sogar die Weise der eige- nen Bewegung.

An der Höhe des Hutes und an der Buntheit des Brusttuches konnte man genau sehen, wer da vor einem stand oder ging. Wurde einem je- mand in der Sänfte entgegengetra- gen oder kam er hoch zu Roß anga- loppiert, dann wußte man genau, wie tief der Begrüßungsbückling zu sein hatte. Je nachdem, ob je- mand trottete oder latschte, aus- schritt, tänzelte oder federte, konn- te man recht genau Beruf und Stel- lung des Betreffenden - natürlich auch der Betreffenden - ausmachen.

Aber heute? Hohe Mode gibt es für fast alle - und sei es im Wege der preisgünstigen Raubkopie, Autos aller Größenklassen werden nach kurzem Gebrauch verramscht und stehen dann auch den schlichteren Schichten zur Verfügung. Im Zeit- alter der Schönheitssalons und Body-Style-Zentren sehen ohnedies alle mehr oder weniger gleich aus, und zu Fuß geht kaum noch je- mand.

Bleibt die Sprache. Und da hält sich auch hartnäckig der tief ver- wurzelte Wille zur Unterscheidung. Wer den Mund aufmacht, begibt sich in Gefahr: Sag mir, wie du sprichst, und ich weiß, was du wert bist. Kein Wunder, wenn nur die wahrhaft Bedeutenden, Fernseh- moderatoren beispielsweise, noch wagen, so zu reden, wie ihnen der Schnabel gerichtet wurde. Wer bedeutend erscheinen will, der muß etwas tun mit seiner Sprache.

Gottseidank wurde schon vor Jahren - die FURCHE berichtete ausführlich darüber - der „Wort- schieber" erfunden. Mit dessen Hilfe bekommen auch schlichte Wortkombinationen den erforder- lichen akademischen Schliff und politischen Nachdruck, also genau das, was man braucht für eine „multilokale Medienpräsenz" oder auch eine „ubiquitäre Personalpu- blizität".

Während man früher um gesell- schaftliche Anerkennung bemüht war - häufig erfolglos -, geht es heute um „universelle Sozialakzep- tanz" - und damit hat man nicht selten durchschlagenden Erfolg. Vorausgesetzt, man kümmert sich rechtzeitig um eine intentionale Informationsrezeption zur multi- flexiblen Individualqualif ikation in Tateinheit mit omnidirektionaler Statuspromotion.

Sie glauben, dies alles ist dem Gehirn eines mäßig begabten Sati- rikers entsprungen? Weit gefehlt. Dieser Tage hatte ich an einer aka- demischen Brutstätte für künftige Wirtschaftskapitäne und Gesell- schaftsführer zu tun. Bevor ich flüchten konnte, fiel mein Auge auf ein filzgeschriebenes Plakat, auf dem von der „Selbstpräsentation studentenspezifischer Institutio- nen" zu lesen war. Ich war total beeindruckt, aber ich weiß bis heute nicht, was da angekündigt wurde.

Es wird sich dabei doch nicht um die Neueröffnung von Studenten- kneipen gehandelt haben?

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