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Die gute, alte Zeit

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Mein geliebter Johann Nepo-muk läßt seinen Krautkopf im „Zerrissenen" sagen: „An keine Ordnung gewöhnt sich das Volk -Kraut und Ruam werfertens durcheinander wia Kraut und Ruam."

Jedesmal wenn ich diesen Satz auf der Bühne sage, bedaure ich, daß die alten Ausdrücke in Vergessenheit geraten: „Der flucht wie ein Kabskutscher" — no ja, wer soll das heut' noch gebrauchen, wo es keines dieser Wiener Originale mehr gibt?

Zu meiner Kinderzeit sind sie noch mit ihren zweirädrigen Karren durch die Gassen gefahren. Immer sechs Wagen mit sechs Pferden hintereinander und ein Kutscher nebenhergehend.

Das war in der Zeit, da der Leichenträger noch Pompfüneberer hieß. In der Kandlgasse hat einer leibhaftig gewohnt, gleich neben dem Haus, in dem der Komponist Rudolf Kronegger domizilierte.

Sie erinnern sich? „Ja, ja, der Wein is guat, i brauch kan neichen Huat... ". Das war von ihm, der oft mit meinem Großvater im „Einspänner" zum Heurigen fuhr, oder zum Turl Wiener, der ein großer Volkskomiker war.

Einspänner — heute muß man froh sein, wenn man einen im Kaffeehaus bekommt.

Apropos Turl Wiener - ich muß vier oder fünf gewesen sein, als ich sein „Gschisti Gschasti Gum-milasti — servas i geh z'Haus" zum ersten Mal hörte.

„Der sauft wie a Bürschtenbin-der", hat mein Großvater, der auch kein Kostverächter war, gemeint und sicher nicht gedacht, daß auch dieser Stehsatz bald aus dem Sprachschatz verschwinden würde. Denn wir haben ja nicht mehr viele Handwerker dieser Art, die immer trinken müssen, weil ihnen die kleinen Haare der feinen Bürsten und Pinsel bei jedem Atemzug in die Kehle kommen.

Ob Sie's glauben oder nicht, ich habe noch einen Zifferblattmaler, den Herrn Zapeza in der Burggasse, und einen Elfenbeindrechsler, Herrn Rack in der Hermanngasse, gekannt. Stundenlang habe ich dem fleißigen Meister zugesehen, wie er zierliche Schachfiguren aus Elfenbeinzähnen entstehen ließ, sägte und feilte, mit der Lupe vor dem rechten Auge, die Virginier zwischen den Zähnen.

Nur das damals noch mundgeblasene Signal der Feuerwehrtrompeten konnte mich zum Verlassen der kleinen, überheizten Werkstatt veranlassen.

Im Amtshaus Hermanngasse ist, so glaube ich, auch heute noch die Feuerwehr stationiert. Wenn sie „ausfuhr", stand ein Trompeter mit Helm und Karabinergurt auf dem Trittbrett des Autos mit den gebogenen Leitern oben und schmetterte sein warnendes Trara durch die Gassen, damit Kohlen- und Bierwagen, die von schweren Pferden gezogen wurden, rechtzeitig anhalten konnten.

„Wie der Herr, so's Gscherr", meinte man dazumal und wußte, daß man von der Qualität des Pferdegeschirrs auf die menschlichen — besser gesagt bürgerlichen und finanziellen — „Qualitäten" des Fuhrwerksbesitzers schließen konnte.

Erinnern Sie sich noch? Faschingsende? Bunte Bänder waren in das Roßhaar geflochten, flatterten von Bock und Peitschenstiel.

Wie armselig nehmen sich dagegen die elektrischen Zwergchristbäume in den Führerkabinen unserer Schwerlastwagen aus, die alljährlich, von mir trotzdem dankbar registriert, zur Weihnachtszeit auftauchen.

Vermisse ich die Symbole unserer Stadt oder ist es nur die Erinnerung, die mich nachdenklich stimmt? Ich weiß es nicht.

Wo sind die Dienstmänner mit ihren roten Kappin, die schwitzenden Gepäcksträger des Westbahnhofs? „Mirkn's Ihna de Numero — sechzehn!" Ihre Nachfahren rollen mit Elektrowägelchen lautlos über die Bahnsteige — nur hin und wieder ertönt ein Schmerzensschrei, wenn sie zufällig in zügiger Fahrt ein Zehlein überfahren oder ein Schienbein gestreift haben.

Und entfernte Verwandte von ihnen findet man höchstens noch in den Bahnhöfen von Venedig, allwo der „Fachino" noch umworbener Star ist, und in Budapest. Es ist gar nicht merkwürdig, daß die Kopfstationen der ungarischen Metropole sowie der Lagunenstadt noch heute „österreichischer" aussehen als die Eisenbahnpaläste am Gürtel.

Da ist die Zeit noch eher angehalten gewesen als bei uns, wo aus Ruinen etwas wachsen mußte — mußte, sollte es weitergehen. Glaswände, Rolltreppen, Fresken, alles gut und manchmal sogar schön, aber rührend ist nur der sandsteinerne Marcuslöwe vor dem Südbahnhof. Er schaut so kindisch drein — zum Abbusseln.

Eisenbahn! Bald wird Ghegas Meisterwerk überwuchert sein, die „Elektrische" unter dem Sem-mering durchdonnern. Man wird nie wieder im Tunnel die Fenster schließen müssen — keine stinkenden Rußschwaden, keine Erstik-kungsanfälle, wie ich als Bub einen im Zug vor Fiume hatte, das damals nur auf einer Seite so hieß und auf der anderen Susak genannt wurde.

Mich schmerzt die Einebnung, die Gleichmacherei ä l'Europe, die Entösterreichisierung. Eine Stadt, ein Land geht daran, sein Gesicht zu verkaufen. Neuer-An-schluß droht! An Großeuropa! Wobei die BRD den Vorzug genießt.

Fehlt nur der Stolz der Franzosen, das Ich-Bewußtsein der Briten, die Selbstverständlichkeit der Italiener, Dänen, Schweden? Auch hier heißt es, den Anfängen wehren. Ausverkauf? Ja, aber beim Gerngross!

Musil schreibt, daß in Kakanien alles ein wenig langsamer ging als anderswo. Die Republik hat Kakanien abgestreift, jetzt sind wir Vorreiter der Vereinigungspolitik.

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