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Die Schrecken eines Wortes

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Unsere Sprache ist etwas Wunderbares. Ich liebe Worte und Ausrufe, ich rede gern, schreibe gern und höre gern zu. Aber einen Ausruf gibt es, den kann ich nicht leiden und gerade der verfolgt mich seit meiner Kindheit.

Schon damals erschreckte mich der Lehrer, wenn er mich in der Rechenstunde beim Blümchenzeichnen erwischte, mit seinem schadenfrohen AHA!" „AHA" bedeutete Strafarbeit. Wie Donner rührte mich das ärgerliche „AHAA!" meines Vaters, wenn er mich in einen Karl May vertieft fand, während unsere Kühe, die unter meiner Aufsicht standen, sich im Krautgarten des Nachbarn gütlich taten. Im ersten Augenblick glaubte ich, eine Rothaut stehe wolle meinen Skalp. Mein schriller Angstschrei erschreckte wiederum Vater so, daß er von einer Bestrafung absah.

Dann kamen die schwiegermütterlichen „AHAS". Wenn ich schüchtern zu erklären versuchte, warum ich dies oder jenes so und nicht anders gemacht habe, oder daß es bei uns daheim so üblich sei, erntete ich meist ein eher geringschätziges „AHA". Manchmal kam die gestrenge Frau in die Küche, wo ich im Schweiße meines Angesichtes für ein halbes Regiment kochte. Sie lüftete die Deckel der riesigen Häfen und meinte „AHAA". Ohne weiteren Kommentar ging sie wieder. Das konnte mich so verwirren, daß ich einmal die Gemüsesuppe zuckerte und das Rhabarberkompott salzte.

Nach 25 Jahren treuen Dienstes verhielt sich plötzlich meine brave Waschmaschine ungebührlich. Kein besorgtes Beäugen, kein gründliches Reinigen, weder sanftes Beklopfen, noch starkes Beklopfen und nicht einmal gutes Zureden konnte sie umstimmen. Sie streikte. Also Kundendienst. Nach langem, tiefsinnigem Betrachten des verwirrenden Relais machte der gute Mann vom Kundendienst kurz: „AHA!" Zerknirscht erwartete ich als nähere Erklärung, daß die Schuld bei mir liegt und die Reparatur ein Heidengeld kosten wird. Als er dann sagte, daß sich nur ein Kontakt gelockert habe und daß diese Waschmaschine gut behandelt worden sein müsse, damit sie dieses ehrwürdige Alter überhaupt erreichen konnte, war ich sowohl erleichtert als auch etwas enttäuscht. Dieses, AH A" war also gar keine Schuldzuweisung gewesen. Und es hat mich doch so fatal an die „AHAS" meines Mannes erinnert. Diesen folgte nämlich, wenn im Betrieb oder bei den Kindern etwas schief lief, unweigerlich: „Weil du immer..." oder „weil du nie..." Mit einem „AHA" wurde ich für alles verantwortlich gemacht. Bis heute warte ich vergeblich auf ein anerkennendes, nach Lob klingendes,AHA". Ob es das überhaupt gibt?

Letztens war ich beim Zahnarzt. Entspannt lehnte ich in dem bequemen Stuhl und dachte: „Na ja, schlimmstenfalls wird er mir einen Zahn ziehen." Da hielt der Unmensch die Röntgenbilder gegen das Licht und meinte bedeutungsschwer: „AHA". Sofort saß ich bolzengerade, das Herz klopfte mir bis in die hohlen Zähne und so wartete ich auf den Schicksalsspruch. Nichts mehr zu retten. Alle Zähne heraus. Kein knak-kiger Apfel, kein knuspriges Hausbrot, kein resches Gebäck mehr. Doch noch bevor ich mich mit meinem grausamen Schicksal abfinden konnte, ergänzte er: „Das wird leider eine Wurzelbehandlung." Ja, dreimal ja, aber warum dann dieses verflixte dumpfe „AHA"?

Wegen unklarer Schmerzen war ich zur Gesundenuntersuchung gegangen. Der Arzt fand nichts Gravierendes, nun kam noch das EKG. Total verkabelt, lag ich nervös auf dem Tisch und lauschte dem beunruhigenden Ticken. Gleichmütig verfolgte der Arzt wie mein Herzschlag unregelmäßige Zak-ken auf eine Papierrolle schrieb. Plötzlich tat er einen raschen Griff und rief gleichzeitig „AHA"! Ich erschrak bis ins verkabelte Herz. Also das war's! Ein Herzfehler! Irreparabel, das hörte ich deutlich aus dem entsetzten „AHA!" des guten Doktors.

Schreckgelähmt, war ich nicht mehr in der Lage, allein vom Tisch zu kommen. Freundlich half mir der Arzt, wie man eben einer Todkranken hilft. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und bat ihn, mir die volle Wahrheit zu sagen. Ich wollte tapfer mit meinem schweren Los fertig werden wie eine Frau. „Soweit alles in Ordnung mit ihrem Herzen", meinte er so nebenher. „Ja, aber sie haben doch ,AHA' gerufen", stammelte ich verstört. Ach, der Apparat habe so seine Mucken und drohte steckenzubleiben. So. Ob ich nicht seit diesem EKG doch einen Herzfehler habe?

Sollten wir uns einmal begegnen, sagen Sie mir, was immer Sie wollen, kritisieren Sie mich, besser noch, loben Sie mich, aber sagen Sie bitte nicht: „AHA"!

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