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Die Schweine des Heiligen

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Voraus gesagt: Es handelt sich nicht um den heiligen Antonius von Padua, sondern um Antonius Eremita, den „Sautoni", wie er von den Landwirten auch liebevoll genannt wird; denn er gilt als Heiliger für das Vieh. Man sieht ihn — in unseren Gegenden zwar selten genug — mit einem Schwein und einer Glocke als Attributen abgebildet. Sein Tag ist der 17. Jänner: „Wenn Antonius Luft ist klar, kommt bestimmt ein trocken Jahr", sagt die Bauernregel.

Wie es zur tiefen Verankerung dieses Heiligen aus der ägyptischen Wüste bei uns kam, soll zuerst kurz in Erinnerung gerufen werden. Antonius, der Eremit, ist eine historisch faßbare Persönlichkeit; er starb im Jahr 350 und galt schon zu seinen Lebzeiten als heilig.

Seine Lebensgeschichte kennen wir durch Bischof Athanasius von Alexandrien. Im 11. Jahrhundert brachte ein französischer Ritter die Gebeine des heiligen Antonius in den kleinen französischen Ort La Motte aux Bois bei Greno-ble - das bald zur Wallfahrtstätte Saint Antoine wurde. Damals raffte eine entsetzliche Seuche Hunderttausende Menschen dahin, eine Art Brand, bei dem den Befallenen die Glieder abfaulten. Sie wurde, wie man heute weiß, durch das Gift des Mutterkornpilzes des Getreides hervorgerufen, den man mit dem Korn mitver-mahlte. Der heilige Antonius, der als Einsiedler „das Feuer des Fleisches" geistig bewältigt hatte, wurde gegen den Brand im Körper angerufen.

In Saint Antoine entstand eine Spitalsbruderschaft, die die vom „Antoniusfeuer" befallenen Kranken betreute. Es war der Anfang des — heute fast vergessenen - Antoniterordens, der sich im Laufe der nächsten Jahrhunderte über Westeuropa, ja bis Antiochia und ins Heilige Land ausbreitete. Mehr als 250 Präzeptoreien mit angeschlossenen Spitälern hat man bis heute erforscht, doch es dürften noch viel mehr gewesen sein.

Um nun ihre Kranken und Mönche versorgen zu können, hatten die Antoniter einen trefflichen Einfall: Sie schickten ihre Mönche hinaus in die Städte, Burgen und kleinen Dörfer und ließen sich Ferkel schenken.

Mit dem Antoniterzeichen, einem blauen T versehen, durften die Schweine sich im Abfall und Unrat der Straßen „selbst verköstigen". Die Abfälle warf man damals bekanntlich bloß vor das Haus. Waren die Schweine fett gefressen, konnten sie für das nachste Antoniterspital geschlachtet oder eingepökelt und weitertransportiert werden. Die Mönche hängten nicht nur den „Antoniusschweinen" ein Glöckchen um, sondern riefen auch die Gläubigen mit einer Glocke herbei. So kam es, daß der Einsiedler aus der ägyptischen Wüste und „Vater des Mönchtums", in dessen Vita mit keinem Wort ein Schwein erwähnt ist, bei uns im Westen in Heiligendarstellungen als Anto-nitermönch mit Schwein und Glocke abgebildet wird, sowie mit dem T, dem sogenannten „Antoniuskreuz" (ohne oberen Längsbalken).

Der Münchener Historiker und Theologe Adalbert Mischlewski, dem die neueste Forschung über die Antoniter zu danken ist, hält dieses T für das Symbol einer Krücke, wohl zur Stütze für ein abgefallenes Bein. Mischlewski ist es auch, — und das ist das Neue —, der eine Wiener Niederlassung der Antoniter entdeckte.

Aus Dokumenten, die der Wissenschaftler sowohl in Memmingen in Süddeutschland (von wo aus die Wiener Niederlassung gegründet wurde), als auch im Vatikan erforschte, hört man von einem Streit zwischen dem alteingesessenen Heiligen-Geist-Orden mit dem für Wien neuen Antoni-ter-Spitalsorden. Die Heiligen-geistler besaßen in Wien das älteste Spital auf deutschem Boden; auch sie sammelten, wahrscheinlich sogar Schweine, im Namen des heiligen Antonius. Und die Neuen, diese Antoniter, erhoben den Alleinanspruch für das Sammeln! Sie wollten es gewissermaßen patentiert wissen, war das Betteln doch ihre „Erfindung", und bereits um 1200 über ganz Mitteleuropa hin bestens durchorganisiert, also bereits lange vor den Bettelorden.

Ja, die Antoniter besaßen die Keckheit, sogar beim Papst für ihre „Rechte" zu intervenieren. Uber mehr als ein Jahrzehnt zogen sich die Verhandlungen. Schon 1456 und 1457 war der berühmte Antoniter-Präzeptor mit dem merkwürdigen Namen Petrus Mitte de Caprariis deswegen nach Wien gereist. Als das nichts nützte, war er im Jahr darauf beim Papst. Die Wiener Heiligen Geist-Mönche eilten zum Kaiser; und Friedrich III. hielt sogar zu ihnen, erhob seinerseits beim Papst Einspruch gegen die Mönche vom heiligen Antonius.

Und wie ging dieser kleine Schweinekrieg aus?

Den Antonitern wurde zwar das „Terminieren" (das Sammeln) im Bistum Passau und in der Diözese Salzburg untersagt, aber der Kaiser wollte es sich mit dem damals immerhin noch mächtigen Orden nicht ganz verderben: 1470 wurde den Antonitern mit des Kaisers Einwilligung von Graf Ulrich von Werdenberg vor den Toren von Wien in der „Brunnlukken" (etwa beim Naschmarktende an der Wien) ein Haus geschenkt. Und als Trostpflaster wurde der Anto-niterpräzeptor Petrus Mitte de Caprariis zum „kaiserlichen Kaplan" ernannt — schon damals eine typische und echt österreichische Lösung: man verlieh ihm einen Titel.

Später hat noch Maximilian I. dem Orden den Reichsadler mit goldener Krone als Wappen verliehen. Aber im 16. Jahrhundert ging es mit den Antonitern schnell bergab.

Man mag sich denken, daß in Zeiten der Kriege und der Not auch die Antoniusschweine von den Straßen verschwanden und nicht nur wegen der verstärkten Hygienebestimmungen. Die Antoniter fielen den Wirren der Reformation fast gänzlich zum Opfer, bis die verbliebene Schar im 18. Jahrhundert mit den Malteserrittern vereint wurde. Heute sind sie so gut wie vergessen; von ihrem kleinen Schweinekrieg in Wien haben nicht einmal Wien-Historiker gehört.

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