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Ebisimit Hindernissen

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Welche Rolle der Schuleintritt und damit der Zugang zum Bildungsweg der Weißen für die Eingeborenen Neuguineas spielen, schildert der Ethnologe am Institut für Völkerkunde in Stuttgart.

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Welche Rolle der Schuleintritt und damit der Zugang zum Bildungsweg der Weißen für die Eingeborenen Neuguineas spielen, schildert der Ethnologe am Institut für Völkerkunde in Stuttgart.

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Die abendliche Stille über den Hütten von Popago in den urwaldüberwucherten Bergen wurde durch jähes Stimmengewirr durchbrochen. Von herzzerreißendem Kindergeplärr begleitet machte Burubas erste Frau wieder einmal ihrem Ärger darüber Luft, daß ihr ältestes Mädchen vom Besuch der „Ebisi"-Schule (=Pidgin-Englische Aussprache für ABC) ausgeschlossen geblieben war.

Genauso aufgebracht war aber auch der eben mit dem jüngeren Buben seiner zweiten Frau aus dem zwei Stunden weit gelegenen Wakalu heimgekehrte Vater.

Man hatte den kleinen Timbiri vor dem luftigen Bambusbau der dortigen Dorfschule vor versammelter Menge gegen eine Latte gedrückt, auf eine Waage gehoben, und schließlich festgestellt, daß dieser wohl erst im nächsten Jahr in die erste Klasse aufgenommen werden könnte.

Voller gekränktem Vaterstolz hielt mir Buruba vor, daß der wu-schelköpfige Knirps, dem dicke Tränen über die dunklen Backen liefen, zwar zugegebenermaßen etwas „gedrungen" geraten, aber keineswegs zu „klein" für die Schule sein könne. Immerhin würde er es mit seinen Altersgefährten nicht nur im Laufen, beim Speerwurf spiel oder auch Lastentragen durchaus aufnehmen, sondern er sei sogar im Kreise der Männerversammlungen dadurch aufgefallen, welch lange und schwierige Passagen aus den mündlichen Stammesüberlieferungen er bereits fehlerlos herzusagen wußte.

Ich konnte meinen mit mir etwa gleichaltrigen papuanischen Freund gut verstehen. In ganz Neuguinea gibt es einfach so gut wie keinen Eingeborenen, der sein Lebensalter aufs Jahr genau angeben könnte - vom Geburtsdatum ganz zu schweigen.

Nach einigem gemeinsamen Hin- und Herüberlegen hatte plötzlich Burubas Zweitfrau die entscheidende Idee. Ihr war eingefallen, daß ihr Mann seinerzeit den Brautpreis für ihre Eltern erst beisammen hatte, als er nach Ablauf seines dreijährigen Arbeitsvertrages eben von einer Kakao-Plantage im fernen Küstengebiet heimgekehrt war. Mehr brauchten wir nicht!

Schon in der übernächsten Woche kehrte ich von einem halsbrecherischen Landrover-Trip zur zuständigen Distriktshauptstadt aus seiner Plantagenkulizeit nach Popago zurück.

Alsbald sah sich der Leiter der Missionsschule im benachbarten Wakalu einem Schwärm aus Burubas abgeschiedenem Gebirgs-dorf gegenüber, der lebhaft bezeugen konnte, daß der kleine Timbiri kaum einen Monat nach der amtlich bestätigten Rückkehr des Vaters von seinem Dreijah-res-Einsatz an der zwei Flugstunden entfernten Küste das Licht der Welt erblickt und somit nachweislich das für den kurz bevorstehenden Schulzulassungster-min erforderliche Alter zweifelsfrei erreicht hatte.

Am Morgen des heißersehnten ersten Schultags geht es allerdings wieder nicht ohne Tränen ab. Während die stolze Schar der bloßfüßigen braunen Taferl-klaßler auf der Wiese vor dem Schulhaus erwartungsvoll der Einführungsrede von Pater Miku-litsch lauscht, stoße ich auf Tim-biris - leider ohne Ebisi großgewordene - Schwester Eluma, die wie ein schluchzendes Häuflein Elend im Schatten der blüten-über säten Hibiskushecke des Missionsgeländes kauert.

Gemeinsam mit Theresa, die als treuer Geist für das leibliche Wohl der Stationsangestellten sorgt, versuchen wir der Ärmsten bei Kaffee und salzigem Armeezwieback ein wenig Trost zuzusprechen. Der umsichtigen jungen Frau, die ebenfalls erst im Teenager-Alter nachträglich neben Hauswirtschaftskunde auch Lesen und Schreiben gelernt hat, gelingt es bald, das Mädchen auf bessere Gedanken zu bringen.

Die Blicke der Kleinen, die aufmerksam die schlichte Einrichtung der Wellblechhütte mustert, bleiben immer wieder an Theresas altmodischer, pedalbetriebener Nähmaschine hängen. Ich kann die beiden allein lassen, denn schon bahnt sich so etwas wie ein Einführungsvormittag in die mir weniger geläufigen Geheimnisse der weiblichen Handarbeiten an. dem höchstens durch die fällige Zubereitung des Mittagessens ein Ende gesetzt wird.

Als dieses schließlich zum gewohnt pünktlichen Gebimmel der anstelle eine Glocke angeschlagenen, an einem Ast baumelnden Eisenröhre aufgetragen wird, staunen der Pater und die übrige Tischgesellschaft nicht schlecht über die junge, von Theresa gleich zünftig mit Schürze und Häubchen eingekleidete Küchengehilfin.

Da die Einstellung einer zusätzlichen Anlernkraft ohnedies gerade seit einiger Zeit im Gespräch ist, und auch Elumas zum ersten Schulbesuch ihres Sohnes mitgekommene Eltern nichts dagegen einzuwenden haben, w^rd dies ein ereignisreicher Tag für beide Geschwister, die von nun ab regelmäßig den hügeligen, baumgesäumten Weg zu ihren neuen Wirkungsstätten in Wakalu antreten dürfen.

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