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Ein Freund Kommt

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Ein Freund ist, wer schon durch die bloße Ankündigung seines (seltenen) Besuches die ganze Familie in größte Aufregung versetzt.

Von dieser zugegebenermaßen etwas willkürlichen und anfechtbaren Definition ausgehend, sollen einmal die ungeheuren Komplikationen betrachtet werden, welche der Besuch eines guten Freundes auslöst. Denn wir leben ja nicht mehr oder noch nicht in der guten alten Zeit, in der die einfachen Dinge einfach waren. Längst sind die einfachen Vorgänge wegen ihrer Einfachheit verdächtig.

Der Fluch statt des Segens der Einfachheit. Als hätte es das in der Bibel nie gegeben: „Steig’ eilends hinab, heute will ich bei Dir zu Gast sein.“ Ein Zöllner war’s, ein Unmensch. Wer bemerkt noch den Skandal? Zum Vergleich: ein Kardinal nächtigt beim Zwangsgerichtsvollstrecker. Nein, dafür haben wir keinen Sinn mehr, kein gesellschaftliches Verständnis. Ein Bischof in der Straßenbahn ist ein europäisches Novum.

Was hat doch der Besuch eines Freundes heutzutage mit dem un- überspringbaren eigenen Schatten zu tun!

Das geht so: Am Anfang ist das Gerücht. Wird er kommen, wird er nicht kommen? Und wenn er käme? Und wann er käme? Warten auf Godot.

Kein Gerücht ohne Medium. Einer hat schon gehört, daß er kommt. Einer hat Beweise. Einer dementiert. Was sagt die Regierung? Delegation hin, Delegation her. Flüstern hinter Polstertüren. Unerträgliche Spannungen. Dann endlich, endlich: Ja, er kommt. Aber wann? Mutmaßungen über Termine. Bitte nur nicht irgendwann. Eine große Geschichte duldet nichts Beiläufiges.

Die Spannung weicht. Der Termin ist bekannt. Er kommt. Es ist nicht der Jüngste Tag. Aber fast.

Jetzt an die Vorarbeit. Der Besuch will vorbereitet sein. Man kann doch einen Freund nicht so empfangen: „Wie geht’s? Schön, daß Du da bist!“ Sich so einfach freuen, gemeinsam lachen, gemeinsam raunzen, gemeinsam feiern! Also, das ist völlig unmöglich! Man braucht ein Komitee, mehrere Komitees, man braucht Organisationen, man braucht Ideen, man braucht ein Motto, man braucht Slogans, Visionen, Proklamationen. Man muß alles erfinden, neu erfinden, „gestalten“, bearbeiten, beraten.

Die ganze Geschäftigkeit ähnelt der Aufregung mancher Hausfrauen, die vor einem Besuch vor lauter perfekter Vorbereitung so

Es geht immer weiter unansprechbar werden, daß gute Freunde solche Besuche meiden und alle, die am Rande die Sache mitbekommen, den Kopf darüber schütteln, warum sich manche Menschen die Freude selbst verderben.

Selbstverständlich muß auch gestritten sein, das ist so richtig biblisch, wie beim Apostelkonzil, ins Angesicht widerstanden. Auch die österreichische Seele fordert Tribut. Kein Besuch ohne Protokoll. Wer darf wann wo stehen? Wer wird genannt, begrüßt, gar ausgezeichnet? Wo Rangordnungen noch nicht bestehen, sind sie zu schaffen, denn Struktur ist alles.

Zu den Pflichten des Gastge-(Karikatur: Stäuber, Nebelspalter) bers gehört vor allem, daß der Freund bei ihm auch sicher sei. Das erfordert Strategien, Exekutiven, Pläne. Und, fast hätte ich vergessen es zu betonen: Wo stehen Kameras und Mikrophone, auf daß Aug und Ohr der Welt auch jedes Wort des Freundes vernehmen?

Der Kalender läuft, die Zeit rückt vor, der Termin naht, die Weltgeschichte hält den Atem an. Der Freund kommt.

Ein überaus anstrengender Besuch. Am letzten Tag des Freundesbesuches sind die Gastgeber schon so ermattet und entnervt, daß man’s auf dem Fernsehschirm bemerkt. In den Abschiedsschmerz mischt sich heimliche Freude über den „überstandenen“ Besuch. Wir haben wieder einmal bewiesen, daß wir große Könner im Organisieren sind.

Nur der Freund, der Gast, lächelt immer noch, steht gerade, schüttelt Hände, hebt seine Hände auf, grüßt, segnet, weiß in seinem Innersten längst, welcher Stein den Gastgebern jetzt vom Herzen fällt, wenn das Flugzeug wieder abhebt und alles gutgegangen ist.

Vielleicht bedauert er, daß er nicht einen Walzer probiert hat in diesem Land, daß er nicht beim Heurigen war, daß er nicht mit uns in unsere Berge steigen konnte.

Der Freund nämlich, deri wir erwarten, ist kein Freund des Papiers, der Ämter und Eitelkeiten. Es ist ein Freund, der einfach Freude daran hat, einmal bei uns vorbeizuschauen und das zu pflegen, was wir zu dem Fremdwort Kommunikation gemacht haben. Nur, heutzutage ist das furchtbar kompliziert geworden. Und unser Freund ist so höflich, daß er uns die Leidenschaft, uns manchmal selbst im Wege zu stehen, durchgehen läßt.

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