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Ein Gesicht Bitte, nur nach Maß satirisch

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Der slowenische Satiriker Zarko Petan bereitet einen neuen Band vor. Wir freuen uns, zwei der Satiren vorzustellen.

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Der slowenische Satiriker Zarko Petan bereitet einen neuen Band vor. Wir freuen uns, zwei der Satiren vorzustellen.

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Der Spezialist für plastische Chirurgie hat mir Vertrauen eingeflößt. Er war untersetzt und alt. breitschultrig wie ein Ringkämpfer. Sein Gesicht war dick und gutmütig.

„Also, sind Sie mit Ihrem Gesicht nicht zufrieden?“

„Gefällt es Ihnen?“ fragte ich ihn.

„Nun, eine Schönheit sind Sie gerade nicht, aber ich sah schon Häßlichere, das können Sie mir «ufs Wort glauben. Sie wissen ja,

daß ich es in meinem Beruf vor allem mit Entstellten zu tun habe.“ Schweigend schluckte ich die Kränkung.

Der Chirurg fuhr fort:

„Und wie soll Ihr neues Gesicht aussehen?“

„Schön.“

„Haben Sie Sonderwünsche?“ „Als ich jünger war, gefiel mir das Gesicht von Marlon Brando besonders.“

„Es ist schon aus der Mode gekommen.“ Der Chirurg nahm aus der Schreibtischlade drei Photos und reichte sie mir. „Diese Modelle habe ich augenblicklich zur Auswahl.“

Ich sah mir alle drei Gesichter genau an.

„Ich kann mich nicht entscheiden. Alle drei sind sehr hübsch. Was würden Sie mir raten?“

„Vielleicht werden Sie leichter einen Entschluß fassen können, wenn ich Ihnen sage, daß das Gesicht Nummer eins hundert neue Dinar kostet, das Gesicht Nummer zwei tausend neue Dinar und das Gesicht Nummer drei eine Millipn.“

„Mir kommt das Gesicht für hundert Dinar ganz in Ordnung vor. Es gefällt mir- sogar besser als das Gesicht für eine Million neue Dinar.“

„Das ist Geschmackssache,“ sagte der Chirurg.

„Wie lange wird die Operation dauern?“

„Eine halbe Stunde.“

Nach dreißig Minuten verließ ich mit dem neuen Gesicht zu hundert Dinar die Ordination des Schönheitschirurgen. Froh pfeifend sprang ich, immer gleich zwei Stufen auf einmal nehmend, abwärts. Das Leben ist doch wunderbar! Dem Portier im Erdgeschoß gab ich einen Zehner als Trinkgeld.

„Danke, Herr Kos,“ sagte er zu mir.

„Ich heiße Horvat.“

Draußen war ein wunderbarer Frühlingstag. Die Sonne wärmte angenehm. Ich kehrte in die erste Schenke ein.

„Was werden Sie trinken, Herr Ribič?“ wollte der Kellner von mir wissen.

„Kognac. Das ist heute mein erster Kognac. Deswegen bin ich noch immer Horvat.“

„Entschuldigen Sie, Herr Horvat.“

Langsam nippte ich an dem edlen Getränk. Beim Nachdenken störte mich die Stimme des Kellners, die da sagte:

„Guten Tag, Herr Ribič.“

Ich drehte mich um und sah neben mir einen Mann mit meinem Gesicht. Er ähnelte mir wie ein Ei dem anderen. Gleiche Haare, gleiche Augen, die gleiche Nase. Entsetzt machte ich mich eilig aus der Schenke davon.

Ich weiß nicht, wie lange ich kopflos durch die Straßen irrte. Zuletzt hielt ich todmüde das erste Taxi an, das vorbeikam.

„Bringen Sie mich nach Hause“.

wies ich den Fahrer an.

„Wo wohnen Sie?“

Erst da blickte ich den Taxifahrer an. Nein, das ist nicht möglich. Auch er hatte mein Gesicht. Ich sprang aus dem Wagen und eilte zurück in die Ordination des Schönheitschirurgen.

„Sie Betrüger!“ schrie ich den Chirurgen an, der ganz ruhig hinter dem Schreibtisch saß. „Was für ein Gesicht haben Sie mir da verpaßt?“

„Eines zu hündert Dinar. Serienproduktion, deswegen ist es so billig.“

„Wie viele Doppelgänger habe ich in der Welt?“

„Ich müßte in der Kartei nach- sehen.“

„Mir genügt eine ungefähre Zahl.“

„Ungefähr zwei- bis dreitausend Patienten, das Gesicht Nummer zwei ist etwa zehnmal seltener, das Gesicht Nummer drei aber ist ein Unikat.“

„Hier haben Sie eine Million!“ Der Geldtasche entnahm ich ein Bündel Banknoten.

„Leider kann man das Gesicht nur einmal verändern.“

Dumm starrte ich den Chirurgen an. Langsam wurde mir klar, daß ich meine Identität für immer verloren hatte. Auch daran konnte ich mich nicht mehr erinnern, wie ich hieß. Ribič? Kos? Horvat? Ich hatte es vergessen.

„Sie sind also ein Humorist?“ „Ich? Nein! Ich…“

„Ich wollte sagen, daß Sie Humoresken schreiben.“

„Ich versuche es nur, ich“

„Haben Sie schon von Ilf und Petrow gehört?“

„Ja.“

„Und Sostschenko?“ „Natürlich.“

„Haben Sie Mrbžek gelesen?“ „Ich kenne seine Satiren.“ „Aha, Satiren, das ist das richtige Wort. Satiren. Das fehlt uns.

Wir brauchen kühne, aufrichtige, kritische Satiren. Unbarmherzig greifen sie unsere Fehler an und machen sie lächerlich. Wir alle machen Fehler. Greifen Sie uns mit der Feder an wie mit einem Säbel. Verstanden? Unsere Ostap Benders warten auf ihre Schöpfer. Schreiben Sie uns eine Satire, und wir werden sie veröffentlichen. So zwei bis drei Schreibmaschinenseiten. Verstanden? Difficile est satiram non scribere.“

Der Redakteur der angesehenen Zeitung begleitete mich zur Tür. Er klopfte mir wohlwollend auf die Schulter und forderte mich nochmals eindringlich auf, scharf und kühn zu sein.

Nach einer Woche stand ich

schon wieder vor seinem mit Manuskripten beladenen Schreibtisch.

„Oho, unser Humorist! Haben Sie es geschafft?“

Ja.“

„Eine Satire?“

„Na ja, ich habe es versucht, ich weiß nicht… “

„Lassen Sie sich umarmen, mein Freund! Ich werde es sofort lesen.“

Der Redakteur stützte den Kopf auf beide Hände und vertiefte sich in mein Manuskript. Nach der ersten Seite sah sein Gesicht ganz überrascht aus, nach der zweiten steigerte sich sein Ausdruck bis zur Verblüffung, die dritte Seite machte ihn vollends mißmutig, die vierte las er überhaupt nicht mehr.

„Mensch, sind Sie sich bewußt, was Sie da geschrieben haben?“

„Ja, natürlich, eine Satire.“

„Philosophieren Sie bitte nicht! Wir sind in einer Zeitungsredaktion und nicht in einem Literaturseminar. Sie haben in diesem Pamphlet rotzbübig den Bezirksfunktionär lächerlich gemacht. Verstanden? Und zwar keinen konkreten, sondern einfach einen Funktionär als solchen. Damit will ich selbstverständlich nicht sagen, daß mancher konkrete Funktionär nicht verdienen würde, lächerlich gemacht zu werden. Aber wenn Sie schon ein so delikates Thema aufgegriffen haben, dann müßten Sie wenigstens einen Funktionär,’der nicht mehr Funktionär ist oder ähnliches lächerlich machen. Verstanden?“

„Ja — und Ilf und Petrow, Sostschenko, Mrožek?“

„Na, wissen Sie, mein Lieber, zwischen Ihnen und denen ist ein großer Unterschied. Die haben ihre eigenen, das heißt russischen und polnischen Funktionäre lächerlich gemacht. Sie aber haben unsere eigene Welt angegriffen, verstanden? Unsere! Offenbar liegt Ihnen die Satire nicht. Schreiben Sie lieber Gedichte. Haben Sie schon von Puschkin gehört? Und Majakowski? Schreiben Sie zwei, drei Gedichte. Nur nicht zu lange. So ungefähr bis zu hundert Zeilen. Und wir werden sie veröffentlichen. Verstanden?“

Aus dem Slowenischen von Peter Kersche.

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