6844912-1976_14_08.jpg
Digital In Arbeit

Ein Interview ...

Werbung
Werbung
Werbung

in einem Exklusiv-Interview, das die junge und schöne Herzogin von ... unserem Korrespondenten wäh-rena eines Feuerwerks anläßlich der Tauffeier ihres ersten Sohnes gewährt hat, ist sie unserer Bitte, das Interview ihrer Mutter, welches diese anläßlich der Traumhochzeit gegeben hatte, zu ergänzen, bereitwillig nachgekommen; es sei in Auszügen wiedergegeben.

bekanntlich habe sie vor zwei Jahren ganz gegen ihre Gewohnheit ein Lexikon aufgeschlagen, wobei ihr Blick auf das Stichwort ,Marante', Schloß in..., dessen Name ihr nichts gesagt habe, gefallen sei, habe ebenso zufällig die Erläuterung, daß es dort burgundische Tapisserien aus dem sechzehnten Jahrhundert, darstellend in neun Bildern die Legende des Wappentieres der herzoglichen Familie, eines Einhorns, gebe, gelesen, ,und, ohne noch zu wissen, was Tapisserien sind, muß ich es also schon geahnt haben', denn sie habe weitergelesen und dabei erfahren, daß sich dort auch ein botanischer Garten befinde, und so langweilig ihr Pflanzen immer gewesen seien, genauso langweilig wie das Märchen vom Einhorn, ,erkannte ich an meinem Herzklopfen, daß ich es noch deutlicher ahnte', und so habe sie ihrer Mutter erklärt, sie würde am liebsten Kunstgeschichte, Mythologie und Botanik studieren, und schon einen Tag später seien die beiden statt nach Nizza nach ... bei Marante gereist.

als die schöne und künftige Herzogin, kaum angekommen, im Hotel den Ansichtskartenständer geistesabwesend gedreht habe, ,habe ich

mit leichtem Schwindel die Reproduktionen der Teppiche entdeckt, muß es also gewiß gewußt haben', habe dann trotz der vor dem Schloß aufgestellten Tafel des Inhaltes, daß Führungen nur sonntags stattfänden, den Portier mit einem Trinkgeld und dem Einwand, daß der auf seinem Sommersitz im Norden des Landes weilende Herzog von ihrem Besuch nie erfahren würde, ,als ob ich es überhaupt nicht ahnte', erweicht und so sich Zutritt verschafft, sei in der Wagenburg an dem vermeintlichen Ponyzaumzeug und den Kindersätteln, deren Zartheit sie erst viel später gerührt hätte, vorbeigelaufen und in den ersten Saal der Gemäldegalerie getreten, aber von den ersten Tapisserien sei ihr trotz der bläulich-weißen Haut des Einhorns (,als ob ich es doch nicht wüßte und noch nichts geahnt hätte') so langweilig gewesen, daß sie sofort in den Garten geeilt wäre, wenn ihr nicht ein liebenswürdiger Galeriewächter in diesem Saal I, ein eleganter Fremdenführer im Saal II auf Englisch Italienisch Französisch und zuletzt ein reizender Kunsthistoriker im Saal III das Einhorn (,als ob ich es noch nicht gewußt gehabt hätte!') einmal als Allegorie der männlichem Tugend, dann wieder als Symbol des listenreichen Angriffes und schließlich als symbolische Allegorie von der Bedeutung auch des Gegenteils der eigentlichen Bedeutung gedeutet hätten, denn da habe sie, ,als ob ich es wieder ahnte', aufgehorcht und ,habe es, ohne das freilich zu wissen, wieder gewußt'; als ihr zwei der drei Herren vor dem Einhorn, das aus

klarem Wasser trinkt, und vor dem Einhorn, das zwei Tauben mit Lorbeer bekränzen, auf spanisch bzw. französisch erklärten, in der spanischen Sage wäre das Einhorn sich in einem Baumstamm zu fangen nie verlockt worden (,da war mir, ich ahnte es wieder'), es habe sich vielmehr freiwillig in die Gefangenschaft des von einem Engel gezogenen Kreises oder des ihm von der Madonna beschwörend entgegengehaltenen Ringleins begeben, ohne sich das Gehörn blutig zu stoßen, ,habe ich es immer wieder gewußt, um es gleich wieder zu vergessen'.

in den Garten getreten, sei ihr von Schritt zu Schritt der Gedanke, sie

könnte dem Fabeltier begegnen, vertrauter geworden, ,denn wohin ich auch sah, immer wieder entdeckte ich eine der auf den Teppichen dargestellten Landschaften und mich verwirrte einerseits die Frage, ob der Garten nach dem Vorbild der Teppiche gestaltet sei oder ob der seit damals unverändert erhaltene Garten dem Künstler als Vorlage gedient habe, oder ob dieser, wie der Garten einmal sein würde, vorausgeahnt hätte, und anderseits der Einfall, bis auf sein charakteristisches Merkmal sei ein Einhorn ein Pferd, nämlich ein besonders zarter Schimmel, vielleicht nach dem Lieblingspony des ersten Herzogs, eines Kindes, entworfen, ein später Nachfahre aus diesem Gestüt, schoß es mir durch den Kopf, könnte, wenn ich das Horn als Feiertagsschmuck verstünde, das Einhorn zu sein mich glauben machen, aber auch dann, wenn das Pferd die Schnauze derart in ein Gebüsch drängen würde, daß das Horn scheinbar verdeckt wäre, galoppierte der Gedanke mit mir weiter', vor der Bachbiegung, in deren Nähe ein Gärtner lächelnd die ihr aus der Galerie bekannten moosigen Steine gesäubert habe, sei ihr, als würde das Einhorn wie auf dem Teppich sofort aus dem mit gleichen Rosen übersäten Gebüsch sprengen, gewesen, sie habe die Schotterinsel inmitten des Teiches auf Hufspuren hin genau betrachtet und auch die Palme mit den zwei Äffchen entdeckt, mit welchen das Einhorn die ülble Nachrede von sich schleudern wird.

vor der in den tiefer gelegen Garten führenden Treppe, in welchem sie den Orangengarten des Einhorns und der zwei Tauben vermutet habe, sei allerdings eine rote Kordel mit der mehrsprachigen Aufschrift „Privat — Zutritt verboten“ gespannt gewesen, ein aus einem Seitenweg tretender Gartenarbeiter habe den Besen weggelegt und als Stellvertreter des Portiers sie gefragt, ob er sie zum Einhornweg führen solle, sie könne das Gehege pho-tographieren — da habe sie (,als ob ich alles Geahnte und Gewußte vergessen hätte') ihm einige Geldstücke in die Hand gedrückt, abgelehnt und, scheinbar in den Anblick der Rosenhecke vertieft, gewartet, bis er weggegangen war, sei dann schnell unter der Schnur hindurchgeschlüpft und, nachdem sie unbemerkt an einem Parkwächter vorbeigekommen war, in den verbotenen Garten geeilt, die letzten zwei Tapisserien zu suchen; auf einmal sei sie vor einer Mauer gestanden, habe aber dank einer aus einer Hek-ke ragenden Gießkanne die Abzweigung entdeckt und sei, während sie plötzlich an den Galeriewächter und Parkwächter denken mußte, der ihr vertrauten Palme entgegengegangen, habe, während ihr trotz ihrem Erschrecken der Kunsthistoriker und Gartenarbeiter, aber auch der Portier eingefallen seien, leises Getrappel gehört, aber erleichtert und enttäuscht erkannt, daß es nur ein Liebespaar in Holzschuhen war, von einem bärtigen Bildhauer aus dem Gelände gewiesen; sie sei, von diesem unbemerkt, unter einer ausgeschnittenen Hecke durchgeschlüpft, um noch tiefer in den verbotenen Garten vorzudringen, trotzdem plötzlich vor dem abgewandten

Gärtner und nach dem nächsten Strauch vor dem jungen Künstler gestanden, der ihr so freundlich wie der Kunsthistoriker und noch freundlicher als der Gärtner zugelächelt und ihr bedeutet habe, sie möge tun, was ihr beliebe — da sei sie weitergegangen, aber plötzlich wieder vor der Gärtnerei gestanden und der Gärtner habe sie im Namen des Künstlers aufgefordert, den Garten unverzüglich zu verlassen, welcher Aufforderung sie ängstlich habe nachkommen wollen, aber, von der Hoffnung auf das Einhorn mit den Tauben geführt und von dem verbotenen Garten magisch angezogen (,ich habe es also doch die ganze Zeit gewußt!'), sei sie doch heimlich umgekehrt, um eventuell bei dem jungen Bildhauer Schultz zu suchen, sie habe ihn nicht gefunden, habe nach der Geruchshalluzination Pferd an den freundlichen Gartenarbeiter denken müssen, als sie schon, wie sie glaubte, vor einer anderen Gärtnerei gestanden sei und dort merkwürdigerweise den bärtigen Künstler Pferdemist auf eine Schaufel habe kehren sehen, sei dann durch eine, wie sie glaubte, zufällig offenstehende Gittertür in den schaibtigen Teil des Gartens getreten, der auf einer Bank sitzende Portier habe ihr im Auftrag des Galeriewächters seine Begleitung vorgeschlagen, da habe sie voll Angst zu laufen begonnen, hinter der nächsten Hecke, aus der sicher nicht zufällig eine Gießkanne ragte, habe der Galeriewächter oder doch nur der Fremdenführer nach ihrer Hand gegriffen, da sei sie (.als ob ich nicht gewußt hätte, daß das sinnlos war!') weitergelaufen und habe um den bärtigen Bildhauer oder den jungen Kunsthistoriker gebetet, hinter dem nächsten Baum habe der junge Bildhauer wie eine Mauer weiter der Kunsthistoriker an ihrem Ring gedreht und dabei etwas auf holländisch oder spanisch gemurmelt, sie habe sich, als einer den Bart abnahm, losgerissen, da sei ihr der Fremdenführer, unter einem Strauch durchgeschlüpft, aus dem Wald entgegengekommen und habe ihr, während er eine rote Kordel durchschritt, das dem Gartenarbeiter zugesteckte Trinkgeld mit einem Gruß vom Portier und vom Fremdenführer nach einer Bemerkung über ihr Kunstverständnis zurückgegeben, und als er mit den Worten, Einhorn bedeute dies und das, aber zugleich auch immer das Gegenteil, lächelnd die Sonnenbrille abnahm, sei er auf einmal der Kunsthistoriker gewesen, der, als er sie ein paar Rosen weiter einholte, doch nur der Gartenarbeiter war, der ihr Verständnis für Pferde lobte, da sei sie in der Hoffnung, das Liebespaar zu treffen, in die Orangerie geschlüpft, (,als ob ich nie gewußt hätte, daß diese der Orangengarten des Einhorns ist'), gerade noch entkommen, als der Garten-arbeiter, indem er den Strohhut abnahm und zu lächeln aufhörte, der Gärtner und dann schon der Bildhauer und schließlich der Parkwächter war, und während sie die Landschaft der Tapisserie IV wiedererkannte, sei ihr (,da habe ich es zum letzten Mal geahnt!') in allen Sprachen von jedem Baum aus jedem Strauch von jeder Treppe und Mauer das herzogliche Einhorn angesagt worden, sie habe nur mehr überlegt, ob sie die zwei Tauben von Bild VI sei, die das Einhorn liebkost, oder der Hochmut, vom Einhorn durchbohrt, und da habe sie auch schon unter dem Orangenbaum des letzten Bildes gestanden, sich des Lächelns und Akzentes des Portiers Galeriewächters Fremdenführers Kunsthistorikers Gartenarbeiters Gärtners Parkwächters und Bildhauers erinnert, und mit der Erinnerung, daß Marante der im Norden gelegene Sommersitz des Herzogs sei und sich das Einhorn freiwillig fangen lasse, habe sie ihren Verlobungsring vom Finger gezerrt und einen Kreis in der Größe der Insel von der Tapisserie IX um sich gezogen,

und einen Monat später haben bekanntlich, wie unserem Korrespondenten gegenüber die junge und schöne Herzogin bestätigte, der Herzog in einem bläulich-weißen Anzug und die schöne Herzogin zu Pferde (,wie ich es also immer gewußt hatte') eine echte Traumhochzeit gefeiert.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung