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Etwas quietscht

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Meine Sinne sind ausgeprägt, und besonders was den Geruch und das Gehör betrifft, wird mich nicht so schnell einer übertreffen. Ob's Glück ist oder Pech, sei dahingestellt. Jedenfalls kann ich manche Leute tatsächlich nicht riechen, und da ändert sich erst was dran, wenn sie dazu übergehen, entweder sich zu waschen oder ein frisches Hemd oder ein anderes Deo zu benutzen.

Kann aber meine Nase solchen Menschen noch ausweichen, ist's beim Ohr schon schwieriger. Freilich, ich kann Discos meiden und um Baustellen einen Bogen machen, nicht aber ums eigene Auto, in dem ich fahre. Und in diesem quietscht etwas. Seit einigen Monaten halte ich diesbezüglich innigen Kontakt mit meinem Mechaniker. Er hatte von Anfang an volles Verständnis für mein Anliegen. Zumindest sagte er es. Als ich das erstemal mit der Geräuschreklamation zu ihm kam, war der unangenehme Ton ganz besonders laut beim Einfahren in den Hof seiner Werkstatt zu hören. Dann, als mein Mechaniker zur Probefahrt mit mir durch und über die Straßen fuhr, war's still.

, Jaja", sagte er damals einfühlsam, „es ist wie beim Zahnarzt, wo im Wartezimmer alle Schmerzen weggeblasen sind." Gut, dachte ich, daß er mich nicht für verrückt hält, er kennt solche Phänomene. Und wir vertrösteten einander aufs nächste Mal. Dieses kam bald, denn das Quietschen wurde mittlerweile unerträglich. Ich ortete es links vorne oben, einige meiner zeitweiligen Mitfahrer vermuteten es links hinten unten, einer sogar rechts in der Mitte, was beweist, daß es auch von rechts vorne unten oder von links hinten oben oder weiß der Kuckuck woher kommen konnte.

„Geräusche", sagte deshalb mein Mechaniker, als ich wieder da war, „pflanzen sich oft recht seltsam fort. Die Ursache ist im Motorraum, aber man glaubt es beim Bremslicht zu vernehmen."

Ja, wie schön er das formulierte, war Balsam für mein irritiertes Nervenkleid. Doch daß man es zunächst einmal überhaupt hören muß, das sah auch ich ein. Diesmal begann es knapp vor der Probefahrt zu regnen, und besonders Quietschgeräusche, sagte mein Mechaniker, pflegen bei Nässe zu verschwinden. Er hatte recht, man hörte keinen Laut.

Nun, mittlerweile habe ich, und zwar nur wegen des Quietschens, meine Werkstatt etwa ein Dutzend mal aufgesucht. Ich habe vorsichtshalber schon Fahrbewegungen ausgekundschaftet, bei deren Ausführung das Geräusch besonders laut und garantiert sicher auftaucht. Doch es war sinnlos: kaum saß mein Mechaniker im Auto, egal ob auf dem Beifahrersitz oder am Volant, löste sich das peinigende Quietschen in nichts auf, der Wagen fuhr geradezu geräuschlos, ein Muster an Ruhe.

Die Furcht saß mir längst im Nak-ken, mein Mechaniker könne mich bei aller Geduld, die er aufbrachte, ja doch für einen Fall von paranoider Schizophrenie oder wie das heißt halten. Ich beschloß also, zu resignieren und so zu tun, als sei alles geklärt.

Als ich daher vor wenigen Tagen zum regelmäßigen Kundendienst in seiner Werkstatt erschien, lachte ich so unbefangen, wie es mir nur gelingen mochte. „Den Grund fürs Quietschen", sagte ich gespielt heiter, „habe ich gefunden. Es war eine lockere Schraube an der Batterie." Mein Mechaniker nickte beruhigt. Am Abend aber, als ich mein Fahrzeug abholte, kam er mir mit ernstem Blick entgegen.

„Entschuldigen Sie", sagte er vorwurfsvoll, „aber Sie sollten doch einmal Ihre Ohren untersuchen lassen. Ich hab zwar die Ursache noch nicht entdeckt, aber in Ihrem Auto quietscht's ja fürchterlich. Stört Sie das nicht? Nächstes Mal werd' ich mich auf die Suche machen!"

Doch ich weiß nicht, was der Mann h"at. Ich fuhr sogleich mit dem Auto nach Hause, ich fahre jetzt schon tagelang damit, aber sosehr ich auch lausche: es quietscht nichts.

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