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Freiheit um jeden Preis
An einem der letzten Tage bat er um Papier und Schreibzeug. Jetzt, so meinte er, jetzt, im Spital, würde er endlich Zeit genug haben, die skizzenhaft längst vorhandene Geschichte niederzuschreiben. Es warteten kleinere Auftragsarbeiten, wartete Kleinkram, wartete auch die geplante sechzehnte Nummer der „Pestsäule“, all das mochte nun warten; im Spital war es still, und wenn es dann mit der Gesundheit wieder besser gehen sollte, dann konnte man vielleicht auch die nächste Geschichte in aller Ruhe beenden.
Die Zeit, die fürchterliche Zeit, sie jagte davon: der ganz junge Schriftsteller mußte in den Krieg, mußte in die Gefangenschaft, mußte dann,immer noch jung, das für das Leben Notwendigste verdienen, mußte sich später, beredts nicht mehr so jung, verteidigen gegen unverschämte Intrigen und dümmliche Attacken; und zwischendurch entstanden dann Romane und Stücke und Geschichten, immer nur zwischendurch, denn die Tage der Ruhe lagen manchmal zum Greifen nahe und lagen doch unerreichbar fern.
„Dos Himmelreich der Lügner“, so heißt der größte Roman: eine österreichische Geschichte in und um das Jahr 1934. „Der Weg zum Frieden“ hieß das erste Stück. Ein anderer Roman trägt den Titel „Die Straße nach El Silentio“. Bücher und Bücher, Rundfunksendungen und Essays, Artikel und Geschichten: Texte von einem merkwürdig bitteren Humor, am Rande des Absurden, am Rande der Hoffnungslosigkeit, zur Sprache verdichtetes, subli-miertes, neu erschaffenes Leben.
Es warteten aber immer die neuen Termine. Die Vorschüsse des nächsten Buches waren bereits verzehrt und die Honorarabrechnungen des letzten Buches noch nicht eingetroffen; es mußte rasch Geld her; man saß am Kaffeehaustisch, inmitten der sogenannten Wohlstandsgesellschaft der täglichen Lebensgefahr ausgesetzt: man konnte hier (und kann immer noch) verhungern, auch bei anständigen Auflagenziffern, bei ununterbrochener Arbeit, leise und lächelnd verrecken — längst sind die Geschickten, die politisch unbarmherzig Sturen, die Nutznießer unkünstlerischer Erwägungen übermächtig. Federmann versuchte in seiner „Pestsäule“ gegen Cliquen und Claquen zu kämpfen, allein, vom Kaffeehaustisch aus. Und versuchte als Generalsekretär des PEN und durch die Interessengemeinschaft der Autoren endlich zu erreichen, daß die Schriftsteller hierzulande eine Krankenversicherung bekommen und eine Rente im Alter. Vielleicht kommt es nun so weit. Als er selbst in das Spital mußte, war keine Versicherung vorhanden, keine Hilfe, kein Geld, überhaupt gar nichts. Freunde erbettelten im zuständigen Ministerium eine einmalige Unterstützung.
Nun muß das Ministerium nicht länger zahlen, all die Ehrungen, Stipendien, Preise, Auszeichnungen können unter den geschicktesten Schreibern aufgeteilt werden; Herbert Zand ist schön leise gestorben, Gerhard Fritsch hat sich umgebracht, die Bachmann ließ die Zigarette so lange brennen, bis das Leben erlosch, auch Celan sprang in die Seine, und nun ist Reinhard Federmann ebenfalls dahingegangen; die Reihen lichten sich und der kleine Haufen aufrechter Schriftsteller dieser mittleren Generation wird bald nicht mehr physisch die Kraft besitzen, um den nackten Existenzkampf durchzustehen.
Allerdings: Werke bleiben zurück, Beispiele und Wirkungen, deren wahre Reichweite heute noch unmeßbar ist. Hoffnungen bleiben zurück, unerfüllt; und manche Träume werden von manchen Lesern weitergeträumt. In dieser tragikomischen Anhäufung beschriebenen Papiers liegt ein nicht immer klar entzifferbarer Sinn: die Welt wird in sprachliche Form gezwungen, bewußtgemacht, bewältigt, sie wird durch Literatur zum Rohstoff der weiterwirkenden Menschlichkeit verwandelt.
Eine schreckliche Warnung und doch auch ein ermutigendes Beispiel liegt in den 53 Lebensjahren des Reinhard Federmann. So lebt und stirbt der freie Schriftsteller in Österreich. Wir, seine Freunde, rücken nun näher zueinander, ordnen unsere Papiere, gehen an unsere Arbeit, allerdings mit der ruhigen Frage: Welcher von uns wird der nächste sein?
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