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AGNETE

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(11. Fortsetzung und Schluß) Am Abend erschien Herbert, wie es verabredet war, in meiner Wohnung und begleitete mich zur Mmoritenkirche. Er ließ mich am Sarge Agnetens allein. Ich verblieb geraume Zeit in der Totenkammer und fühlte dann plötzlich Herberts Hand auf der Sdiulter, die mich mahnte, daß es Zeit zum Abschiednehmen sei. Einen weiteren Abschied hatte ich ja nicht mehr zu nehmen, nach allem, wie ich jetzt zu Agnetens Gatten stand. Ich hatte, ein ver-sdiwiegen Geächteter, von diesem Manne mich fern zu halten und auch von Agnetens Bestattung. Doch fühlte ich mich stark genug, Agnete in mir allein zu Grabe zu tragen.

Und es wird Sie nun verwundern“, fuhr Degenhart in seiner versteinten Unerbittlichkeit fort, „daß ich das sdilidite Drama Agnetens, das auch Ihnen, dem Geduldigen, nunmehr zu Ende geht, mit einer kleinen Begebenheit sdiließe, die eigentlich mehr anekdotischen als tragischen Charakter hat. Aber vielleicht gehört sie doch noch ein wenig zur Sache.

Herbert hatte mi.-h nämlich an jenem Abend bald verlassen, da er mit dem Sektionsrat noch zusammentreffen wollte. Meine innerliche Verfassung ließ es mir nicht ratsam erscheinen, mich sofort in meine einsame Wohnung zu begeben. So strich ich noch eine Weile durch die verregneten Gassen und ging dann in ein Restaurant, wo ich aus früheren Zeiten Stammgast war. Es fiel mir aber, trotz meiner Versunkenheit, in Bälde auf, daß sich von allen Seiten verwunderte und erstaunte Blicke auf mich richteten, die auch durchaus nicht von mir lassen wollten. Mich . begann das zu beunruhigen. Was wollten all diese Leute von mir? War mein Aussehen derart verstört? Oder fühlten sie etwa, woher ich kam? Als der Kellner sich mir näherte, fuhr er gleichfalls erschrocken zurück. Da wandte ich mich in meiner Verwirrung zu einem Spiegel sehr wärts und ich sah, daß mir ein blutrotes rundes Mal, einer Einschußwunde vergleichbar, mitten auf der Stirne flammte. Ich griff danach und fand — ein dunkles Rosenblatt, das hatte sich mir an die Stirne gepreßt, als ich in der Totenkammer über den Sarg Agnetens gebeugt, gelegen war. Und mir fiel in diesem Augenblick ein, daß ich früher, auf dem Wege durch die Dunkelheit, mehrmals den Gedanken erwogen hatte, es werde mir vm'eicht eine Kugel aus meiner Pistole ganz tnversehens in die Stirne dringen. Ich hatlc aber dieses sich mir aufdrängende Bild sofort als meiner und des Geistes Agnetens durchaus un würdig von mir gewiesen, und nun, sehen Sie, war mir dieses seltsame kleine Erlebnis zuteil geworden, daß Agnete mir zum Ab schied und wie zur deutsamen Mahnum vielleicht, jenes Rosenblatt an die Stirnt legte!“

Degenhart atmete tief und lenkte dann ab, als sei er nunmehr um einen Ausbruch meiner Teilnahme besorgt: „Nun ist es aber spät geworden! Im Hause, sehen Sie, verlöschen sie bereits die Lichter, Bren delin hat ausgesungen! Nun wollen auch wir uns zur Ruhe begeben. Gewahren Sie“, er deutete gegen den nahen Horizont des Passes, „jenes dunkle langgestreckte Gebäude dort, das aussieht wie ein Riesensarg oder wie das Dach der Arche Noahs, wenn sie etwa im Versinken wäre? Dort in jenem Bretterhause schlafen, das wissen Sie wohl nicht? unsere russischen Gefangenen, drei tausend an der Zahl. Welch ein Aufgebot an qualvoller gebändigter Mannheit, an zwecklos vergeudeter Bauernkraft! Sic sdilafen zu Füßen Merlins, des Zauberers, der aus dem Lachen unsäglicher Ironie gewiß nicht heraus kommt. In seinen vielen Jahrtausenden mag der Herr dieser Berge wohl manches an mensdilicher Torheit gewahrt haben, doch solch groteskes Schauspiel gewiß noch nicht. Ihm ist dieser An blick, vom Thron seiner Stille herab, aufs neue der willkommene Beweis, wie rettungslos wir Menschen der inneren Weisheil aller Dinge, dem Zauberuhrwerk alles kosmisch Unabwendbaren, der letzten friedensvollen Erkenntnis ferne sind. Und nun gute Nacht, Herr Kamerad, ich fühle midi tief in Ihrer Schuld für die Stunden, die Sie mir so geduldig schenkten!“

4

Ich habe Degenhart seither nicht wiedergesehen. Den folgenden und den nächstfolgenden Tag hatte ich mich in die Stellungen im Fassatal zu begeben gehabt und als ich zum Divisionskommando zurückkehrte, erhielt ich die beunruhigende Botschaft, er sei schon am Morgen nach unserer nächtlichen Zusammenkunft in die Hänge des Rosengartens aufgestiegen und habe erklärt, er werde noch vor Abend zurückkommen. Doch sei er bisher noch nicht erschienen.

Auf das höchste beunruhigt, -bat ich den Divisionär, mir einige berggewohnte Leute zur Nachforschung nach ihm mitzugeben. Wir gelangten bis zur verlassenen Kölner Hütte und darüber hinaus, ohne die geringste Spur von ihm zu finden, und wir blieben auch ratlos über den ferneren Weg, den er etwa in die Felsen hinauf genommen haben mochte. Auch am nächsten Tage und an den folgenden unternahmen wir, mit allem versehen, was zur Bezwingung der gefährlichen Felspfade nötig war, unsere Nachforschungen^ immer aufs neue, nach allen nur erdenklichen Richtungen, die im Räume zwischen der Rotwand und den Vajolettürmen in Betracht kommen konnten. Es hatte sich uns dabei einer der erfahrensten Dolomitenführer, der bei der Brigade in Vigo di Fassa seinen Kriegsdienst leistete, zur Verfügung gestellt.

Es blieb jedoch alles vergeblich, wir fanden Degenhart nicht mehr. Und so war wohl nicht daran zu zweifeln, daß et irgendwo in einer der vielen geheimnisvollen Schluchten, auf einem ihm unbekann ten Wege, den er, der völlig Ungeübte, „in unbegreiflicher Sorglosigkeit betreten hatte“, wie man später beim Divisionskommando mit ziemlich unverhüllten; Tadel bemerkte, verunglückt war.

Mir freilich schien Degenharts Tod wie der Entscheid einer höheren Macht über ein Leben, das im Geiste schuldig geworden war. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er mir auf unserem Spaziergang sein Her/ öffnete und seine „Sünde im Geiste“ bekannte — voll einer Reue, die ihn bis zum Tode begleitete.

Es sdiien mir aber wie ein geheimes Gebot, in jenen Tagen, da die eiserne Willkür und Rauheit des Krieges das Entscheidende nicht nur im Äußerlichen war, von den zarten Geheimnissen und inneren Sub-tilitäten dieses irregegangenen Herzens zu sdiweieen. Ich trug Degenharts Sdiicksal. als ich wenige Tage später den Karerpaß verließ, als ein stilles Vermächtnis in mir fort, mit jener Andacht vor den Seltsamkeiten des Lebens, die bei aller Trauer und Tragik doch auch dessen besserer Reichtum sind.

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