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Guter Hirte“ an der Universitat

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Er ist immer für alle da und.sieht sich selbst als „guter Hirte“ aller Studenten, die Probleme haben. Der Innsbrucker Studentenseelsorger Dr. Peter Steidl, der einzige, den es für mehr als 12.000 Studenten in der Landeshauptstadt gibt, „kämmt“ (nach eigener Aussage) regelmäßig die Zimmer der jungen Leute in den Studentenheimen durch, klopft oder läutet sich durch vier große Heime in Innsbruck und verteilt bei dieser Gelegenheit Einladungen und Informationen.

„Es ist gar nicht wichtig, gleich ein langes Gespräch zu führen. Was ich mit diesen Kontakten bezwecke, ist, den Studenten zu zeigen, daß es mich gibt und ihnen zu sagen: Wenn ihr mich braucht, bin ich dort und dort zu finden“, umreißt Dr. Steidl selbst seine Strategie.

Diese Taktik des „unverbindlichen Kennenlernens“ — bestärkt durch häufige Ad-hoc-Einladungen zu kernigen Speckjausen in studentischen Küchen oder Speisezimmern — hat Erfolg. Mit rund 200 Studenten pro Jahr, so schätzt der Priester und Soeialökonom, kommt ein enger Kontakt zustande. Und ungefähr bei derselben Zahl ist es ihm möglich, in Krisensituationen helfend einzugreifen.

Die ständige Bereitschaft zur Hilfe, zum Beistand, ist auch nötig: „Deutlich hat sich in den letzten eineinhalb Jahren das Bedürfnis der Studenten nach Lebenshilfe, die Suche nach einem höheren Sinn des Lebens verstärkt. Womit dieser recht plötzliche Anstieg zusammenhängt, ist nur schwer zu analysieren. Wahrscheinlich ist er eine Folge des Abflauens der starken politischen Aktivität der Studenten“, skizziert Dr. Steidl.

Und es hängt, so meint er, das Bedürfnis nach Hilfe und nach Sinnerfahrung wohl auch damit zusammen, daß manche Bewegungen der frühen siebziger Jahre nicht das gehalten haben, was sie versprochen haben: Transzendentale Meditation, autogenes Training, Zen-Buddhismus seien wohl interessante Ansätze zu einer Lebensbewältigung, scheinen aber für viele westliche Jugendliche nicht die letzten Fragen beantworten zu können. So kommt es, daß immer mehr Studenten offen in langen Gesprächen bekennen, daß die bisher anerkannten Lebensziele — Erfolg im Studium und später im Beruf — ihnen nicht mehr genügen..

Doch diese Fragen sind nur der Hintergrund, vor dem sich die oberflächlicheren, aber jeweils momentan schwerer zu lösenden Probleme es Alltags abspielen: Probleme mit den Eltern, Schwierigkeiten im Studium und mit manchen Professoren an der Uni, Fragen der Sexualität.

„Wenn ein junger Mensch mich daraufhin anspricht, versuchen wir zunächst einmal, in einerm Gespräch unter vier Augen die Schwierigkeiten auszuräumen“, ist das Motto des Seelsorgers, der mit den meisten seiner studentischen Freunde per „Du“ ist. Als besonders wichtig sieht er es an, bei solch einem Gespräch vorerst nur zuzuhören, was ihm der oder die andere au erzählen hat.

„Die meisten Probleme verlieren ihre drückende Schwere schon dadurch, daß man über sie sprechen kann, daß man jemanden hat, der einem aufmerksam und teilnehmend zuhört.“ Ist es damit nicht getan, versucht Dr. Steidl, konkrete Ratschläge zu geben, und, wenn nötig, sogar in Aktion zu treten, bei Eltern oder Lehrenden zu intervenieren, vielleicht bei Wohnungsproblemen auszuhelfen. „ .Bildung durch Aktion' ist mein Ziel“, umreißt Dr. Steidl, „ich glaube, daß man durch das Beispiel engagierten Handelns mehr Gutes tun und vor allem auch zur Nachahmung anregen kann, als durch die besten theoretischen Ratschläge.“

Ein wichtiger Aspekt der Arbeit des Studentenseelsorgers ist die Tatsache, daß die allermeisten seiner Kontaktpersonen Studenten von auswärts sind, junge Leute, die nicht in Innsbruck zu Hause sind, sondern nur hier studieren. „Etwa 95 Prozent der Kontakte bilden auswärtige Studenten“, gibt der Priester, der lange Zeit selbst eine Lehrtätigkeit an der Universität ausgeübt hat, den Hochschulpolitikern einen wichtigen Hinweis, wo man intensivere psychologische Betreuung ansetzen könnte und müßte.

Mit den treuesten seiner „Schäfchen“, den aktiven Mitarbeitern der Katholischen Hochschulgemeinde. geht Dr. Steidt einen Schritt weiter Nicht nur eine Unzahl von Veranstaltungen, Vorträgen, Wallfahrten und Reisen, auch gemeinsame Eucharistiefeiern werden abgehalten. „Dazu gehen wir“, erzählt der in einer „Kommune“ von drei Geistlichen lebende Seelsorger, „einfach in eine der nahen Kirchen und feiern dort eine Messe. Manchmal findet der Gottesdienst sogar im Büro der Hochschulgemeinde statt. Der Schreibtisch wird dann zum Altar.“

Hier liegt auch eine der Kraftquellen für den Mann, der täglich kleine und größere Probleme mitbe-wältigeh muß („Selbstmordkandidaten kommen glücklicherweise selten vor“). Neben regelmäßigen Gesprächen mit seinen „Kommunen-Genossen“ am Mittagstisch, in denen „schon vieles von dem, was man an Problemen mitmacht, wieder abgeladen werden kann“, ist der Gottesdienst für Dr. Steidl immer noch eine der wichtigsten Quellen für psychische Kraft und Ausgeglichenheit. Dafür nimmt er sogar eine tägliche Aufstehzeit von fünf Uhr in Kauf, obwohl die Gespräche mit den Studenten oft „richtige Nikodemus-Gespräche sind“, wie er meint.

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