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Heimlicher Direktor

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Im Burgtheater wird am 1. Februar eine Ausstellung über Erhard Buschbeck und sein Wirken eröffnet. Titel der Ausstellung: „Der heimliche Burgherr“.

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Im Burgtheater wird am 1. Februar eine Ausstellung über Erhard Buschbeck und sein Wirken eröffnet. Titel der Ausstellung: „Der heimliche Burgherr“.

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Als Hermann Bahr, am 1. September 1918, zum Mitdirektor in die Burgtheaterdirektion berufen wurde, sagte er zu seinem jungen Freund Erhard Buschbeck: „Kommen Sie mit mir. Ich halt's ja sowieso höchstens zwei Monate aus, aber vielleicht macht's Ihnen länger Spaß.“ Genau zwei Monate später, am 1. November, hatte Bahr endgütlig genug von der Burgtheaterdirektion; Erhard

Buschbeck aber machte es danach noch einundvierzig Jahre und acht Monate „Spaß“ am Burgtheater zu bleiben.

Ich schließe die Augen und sehe ihn vor mir: Den großen, schweren Mann mit der hohen Stirn und den klaren Augen, die Virginiazigarre zwischen den Lippen, immer in bläuliche Rauchwolken eingehüllt. Mit welcher Gelassenheit er die Fäden des Theaterbetriebes in der Hand hielt! Heiter und ernst, mahnend und lächelnd steht er da als das, was er für das Burgtheater bedeutete: Die Verkörperung des Prinzipes der Kontinuität. Aus diesem Prinzip war seine Autorität erwachsen, durch sie wurde er zum Symbol für die Beständigkeit des Hauses während jener Epoche, die in den letzten Kaisertagen 1918 begann und die mit Buschbecks Tod, 1960, zu Ende ging. In den fast zweiundvierzig Jahren, die er am Burgtheater verbrachte, hatte er dreizehn Direktoren kommen und gehen gesehen, sah er die Monarchie versinken und das neuerstandene kleine Österreich untergehen und wieder erstehen - während er unbeirrbar seiner Verpflichtung nachging, das traditionelle Erbe mit den Erfordernissen der Gegenwart in Einklang zu bringen.

Man hat Erhard Buschbeck einige Male, auch während der letzten zwölf Jahre, die ich mit ihm erlebte, zum Direktor des Burgtheaters ernennen wollen; aber er hat diese Ehre immer dankend abgelehnt, weil er nur zu gut wußte, daß er dann um seine Position hätte kämpfen müssen. Und das wollte er nicht. Er wollte nichts anderes sein, als der Sachwalter der Dichter, der Freund der Schauspieler, als der Mentor des Theaters.

Als Buschbeck am 2. September 1960 starb, glaubten fast alle, daß sein Ende ein leichtes und plötzliches gewesen sei, und nur wenige wußten, daß er elf Monate langsam und qualvoll dem Tod entgegengegangen war. An einem Abend im Oktober 1959 mußte ich ihm sagen, daß es notwendig sei, eine harmlos scheinende Erkrankung mit Röntgenstrahlungen zu behandeln. Buschbeck fragte

micht nicht, wozu und weshalb. Zwei Monate fuhr ich täglich mit ihm um 8 Uhr früh in die Klinik und dann, um 9 Uhr, wie immer, zum Burgtheater. -

Als der Frühling kam, verbrachten wir noch viele Abende in den Gärten der Heurigen, aber das Glas mit dem herben Wiener Wein, den Buschbeck so gerne trank, leerte sich jetzt nur langsam. Nach wie vor saß er aber um 9 Uhr morgens an seinem Schreibtisch im Theater, freundlich, bestimmend, ordnend und ruhig. Nur war er jetzt vielleicht noch ein wenig schweigsamer geworden. Jedes Wort bereitete ihm Schmerz.

Ganz kurz vor Saisonschluß, gegen Ende einer neuerlichen Bestrahlungsserie, begannen seine Kräfte nachzulassen.

Anfang Juli, als die Hitze in Wien unerträglich wurde und Buschbeck, voller Sehnsucht nach Wiesen und Sommerluft, aufs Land fahren wollte,

beschloß ich, alles zusammenzupak-ken und mit ihm ins Salzburgische zu fahren, in die Gegend, wo er seine Jugend mit Georg Trakl verbracht hatte. Im kleinen Barockschlößchen „Ursprung“, ganz nahe der Stadt, fanden“ wir eine ideale Unterkunft. Fünf Wochen verbrachte Buschbeck unter den schattigen Bäumen des Gartens, sah er noch einmal auf das ferne Maria Piain, auf die Höhenfeste und auf den Untersberg, den er vor Jahrzehnten unzählige Male mit seinem Freund Hermann Bahr bestiegen hatte. Anfangs erholte er sich soweit, daß wir wieder kleine Spaziergänge unternehmen konnten, und er ging dann gern die wenigen Schritte • zu der Quelle, nach der Schloß „Ursprung“ benannt war.

Gegen Mitte August bemerkte ich Lähmungserscheinungen in seinem Gesicht und kurz darauf wollte Buschbeck unbedingt nach Wien fahren, in seine Wohnung am Opernring. Ich brachte ihn nach Hause; da lag er nun, abgemagert zum Skelett, er konnte nichts mehr zu sich nehmen und kaum mehr sprechen; doch die wache Ruhe, die er immer ausgestrahlt hatte, war auch jetzt noch unverändert um ihn. Am Abend des 31. August aber wurde er plötzlich erregt. Er versuchte mit aller Gewalt zu sprechen, pausenlos und in verzweifeltem Tonfall. Endlich erkannte ich, daß er glaubte, im Burgtheater zu sein und dort an das Ensemble eine Rede zu halten. Von allem aber konnte ich nur wenige Worte deutlich verstehen: „Meine Herrschaften, meine Herrschaften, auf die Gesinnung kommt es an, nur auf die Gesinnung“ - und, erschöpft, mit einem Lächeln: „Jetzt hab' ich so lange geredet, daß alle eingeschlafen sind“. Dann beugte er sich langsam vor, tastete mit den Fingern sorgsam den Boden ab, als suche er etwas Verlorengegangenes. Als ich ihn fragte, was es denn sei, antwortete er müde: „Das Herz, das Herz.“ Kurz darauf schlief er ein, und in den frühen Morgenstunden des 2. September starb er.

Einige Jahre vor seinem Tod schrieb Erhard Buschbeck eine Erzählung mit dem Titel „Menschen und Bäume“. Um auszudrücken, wer und was Buschbeck war und was er für das Burgtheater bedeutet hat, kann man vielleicht keine besseren Worte finden, als jene, die er zur Beschreibung eines Fichtenbaumes fand: „Es ging eine große Ruhe von ihr aus, eine Sicherheit,-wie sie nur im Erdreich verwurzelt sein konnte. Die Äste griffen nach allen Seiten gleichmäßig und in schönen Abständen voneinander aus, auch wo eine arithmetische Unregelmäßigkeit vorhanden sein möchte, war sie einbegriffen in die Harmonie ihrer Erscheinung.“

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