6866159-1978_04_06.jpg
Digital In Arbeit

Hoher Preis für eine Dekade puritanischer Revolutionsromantik

19451960198020002020

Der 73jährige Teng Hsiao-ping, Architekt der Modernisierungspläne für die Volksrepublik China, ist ein Mann in Eile. Zweimal gestürzt und dreimal in die höchsten Ämter eingesetzt, will er seine verbleibenden Jahre dazu verwenden, China nach den Weisungen seines Mentors Tschou En-lai noch in diesem Jahrhundert in einen modernen Industriestaat umzuwandeln.

19451960198020002020

Der 73jährige Teng Hsiao-ping, Architekt der Modernisierungspläne für die Volksrepublik China, ist ein Mann in Eile. Zweimal gestürzt und dreimal in die höchsten Ämter eingesetzt, will er seine verbleibenden Jahre dazu verwenden, China nach den Weisungen seines Mentors Tschou En-lai noch in diesem Jahrhundert in einen modernen Industriestaat umzuwandeln.

Werbung
Werbung
Werbung

Der erste Schritt dazu ist die Reform des Erziehungswesens, denn hier hat die von dem senü gewordenen Mao Tse-tung und seinen vier Paladinen aufgezogene Kulturrevolution die größten Schäden angerichtet. Mao hatte seine seit der Jugendzeit gehegten Ressentiments gegen die Schule in ein neues Erziehungsmodell eingebracht, das einem Entwicklungsland wie China keineswegs entsprach. Mehr als eine Dekade lang galt nicht die akademische Leistung als Maßstab für die Zulassung zur Universität, sondern proletarischer Hintergrund und im Arbeits- und Militärdienst verbrachte Jahre. Von der Volks- und Mittelschule wurde je ein Jahr gekürzt. Vier Jahre lang blieben die Hochschulen überhaupt geschlossen.

China zahlt für diese Dekade der puritanischen Revolutionsromantik einen hohen Preis. Als kürzlich in Schanghai Universitätsgraduierte, die in naturwissenschaftliche und technische Forschungsstätten eintraten, geprüft wurden, fielen 68 Prozent in Mathematik, 70 Prozent in Physik und 76 Prozent in Chemie durch. Einige waren überhaupt nicht in der Lage, auch nur eine einzige Frage korrekt zu beantworten. Dabei muß man bedenken, daß in dem Riesenvolk von über 800 Millionen Menschen überhaupt nur 300.000 Studienplätze an Universitäten zur Verfügung stehen. Seit dem Sieg der Kommunisten wurden jährlich nur 1000 bis 3000 Studenten zu höheren Forschungsinstituten zugelassen, in den letzten zehn Jahren verringerte sich sogar noch diese völlig ungenügende Zahl. Die Atombombe konnte nur entwickelt werden, weil etwa 100 in Amerika ausgebildete Wissenschaftler zur Verfügung standen.

Daß Teng gerade hier seine Reformen beginnt, dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, daß die Kampagne der Jahre 1975/76, die seinen zweiten Sturz verursachte, gerade auf den Universitäten geführt wurde. Sein Erzfeind Tschi Tschun, damals Vorsitzender des revolutionären Ausschusses an der Tsinghua-Universität in Peking, wurde als Inspirator des Autorenteams Liang Hsiao, ein Pseudonym für mehr als zwei Dutzend Autoren, das 1974/76 die Medien beherrschte und von einem geheimen Zentrum in der Universität Peking aus operierte, entlarvt und in die Wüste geschickt.

Im Dezember 1977 stellten sich in China erstmals seit elf Jahren 20 Millionen junger Menschen den Zulassungsexamen an der Universität. Erstmals seit 1966 soll ein Drittel der Studienplätze für Studenten, die direkt aus der Mittelschule (ohne Arbeitsdienst) kommen, reserviert sein. Die als Eliteschule geltende Universität Peking wird 1300 bis 1400 neue Studenten zulassen, rund fünf Prozent der Bewerber. Für den Forschungkurs in chinesischer Literatur und in Chemie stehen nur 150 Plätze zur Verfügung. In Kwantung meldete sich eine Million Bewerber für die 10.000 neuen Studienplätze in den 20 Universitäten der gutentwickelten Provinz.

Das Schuljahr beginnt eigentlich im Herbst, doch wurde infolge der Wirren um die „Viererbande“ der Neubeginn für Februar 1878 festgelegt. Neue Textbücher müssen ausgearbeitet werden. Die Chinesen kaufen auch in Japan und im Westen massenhaft wissenschaftliche Literatur. Der Arbeitsdienst wird auf einige Tage Einsatz in der Aussaat- und Erntezeit reduziert, oder auf einige Wochen Feriendienst in einem Betrieb, der mit dem Studienfach in Beziehung steht

Der Studienbetrieb ist streng. In der Universität Peking beginnen die Vorlesungen um 7 Uhr 30. Vier Vorlesungen am Vormittag und drei am Nachmittag, mit einer Stunde Sport oder Rekreation, beweisen die strenge Konzentration auf akademische Leistung. Politische Diskussionen sind auf zwei Stunden pro Woche beschränkt.

Schon jetzt läßt sich absehen, daß die Leidtragenden die Roten Garden sind, die während des absurden Theaters der Kuturrevolution ihre Bildungschancen verpaßt haben. Zehn Millionen wurden seit 1968, als Mao sich gezwungen sah, seine Garden wieder an die Zügel zu nehmen, aufs Land geschickt. Für solche Kandidaten wurde die Konzession gemacht, daß auch Verheiratete und mehr als Dreißigjährige sich zum Examen melden können. (Allgemein sind nur Unverheiratete zwischen 20 und 25 Jahren zugelassen.)

Der neue Kurs wird von den Hochschulen auf die Mittel- und Volksschulen ausgedehnt werden. Kein Zweifel besteht daran, daß die jungen Chinesen wieder die Schulbank drücken müssen, wenn sie vorwärtskommen wollen. Erfreulich sind die spärlichen Nachrichten über ein neues Klima an den Schulen, in denen ein Minimum an Freiheit in Lehre und Forschung möglich ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung