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Meinen Freund Boris zu Fall bringen

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Ich weiß nicht, warum ich Boris haßte. Ich verachtete ihn gleich von allem Anfang an und machte mich sofort daran, ihn zu vernichten. Ich konnte meine Gefühle niemandem erklären und noch viel weniger mir selbst. Daher mußte ich mich einfach mit ihnen abfinden und entsprechend handeln. Boris war nicht klüger als ich, er war nicht wohlhabender, auch nicht erfolgreicher, sah auch nicht besser aus, und seine Frau war auch nicht begehrenswerter als meine. Sicher war Neid nicht der Grund.

Boris schien nichts gegen mich zu haben. Er war freundlich und zuvorkommend. Ich verstellte mich ihm gegenüber. Wann immer wir zusammentrafen, war ich höflich und hilfsbereit. Ich weiß nicht, ob er meine wahren Gefühle durchschaute. Vielleicht empfand er mir gegenüber genauso wie ich ihm gegenüber. Vielleicht spielte er Theater so wie ich. Denn hinter den Kulissen tat ich alles, was in meiner Macht stand, um ihn zu ruinieren, zu erledigen. Es könnte sein, daß er genauso handelte. Wie dem auch sei - es schien mir, daß er mich in aller Ehrlichkeit mochte und schätzte.

Diese untragbare Situation zog sich über Jahre hin. Mein Leben wurde unerträglich. Boris zu zerstören, war zur fixen Idee geworden, die alles

überschattete. Trotzdem konnte ich meinen Haß nicht offen zugeben. Wann immer ich Boris traf, war ich freundlich, ja fast schon unterwürfig. Ich wollte unbedingt sagen „Boris, ich verachte dich!", und obwohl ich oftmals knapp davor zu sein schien, diese vier Worte herauszubringen, gelang es mir nie. So wurde ich meinen aufgestauten Haß nicht los. Und trotz all meiner Anstrengungen, Boris zu zerstören, schien es ihm immer besser zu gehen.

Endlich die Wahrheit sagen!

Ich wußte, daß es für mich nur eine Rettung gab. Ich mußte die KarteWuf den Tisch legen, alles zugeben, meinem Haß offen Luft machen. Dann würde unsere falsche Freundschaft als die, die sie war, bloßgelegt werden und alles würde aufgedeckt sein. Wir könnten einander bekämpfen, bis einer von uns geschlagen wäre. Doch nach all den Jahren wußte ich, daß das nur ein Traum war. Es ging einfach nicht. Aber ich konnte dieses tödliche Spiel nicht für immer treiben und dabei bei Verstand bleiben. Ich mußte Boris vergessen, ein für allemal.

Was Gewissensbisse betrifft, so wußte ich, daß ich keine haben würde. Mein Gewissen hatte mich bis jetzt nicht gedrückt, was Boris angeht. Entweder Boris oder ich! Ich konnte nicht so weitermachen. Boris mußte aus dem Weg geräumt werden, damit ich

frei atmen könnte. Denn eines war sicher, ob er es wußte oder nicht, er war dabei, mich umzubringen.

Mein Plan war einfach. Einmal monatlich gingen Boris und ich entlang des Flusses spazieren. Dann überschritten wir die Brücke zum anderen Ufer. Diesen Spaziergang hatten wir jahrelang regelmäßig gemacht. Ich hatte es mir oft gedacht: nur ein kleiner Stoß mitten auf der Brücke, und mit Boris wäre es aus gewesen. Aber bis jetzt hatte ich nie emsthaft daran gedacht, das zu tun. Plötzlich schien es die allereinfachste Lösung. Ich müßte ihm einfach von hinten einen Stoß geben. Ich wußte, von vorne könnte ich es nie tun. Wenn Boris mich anschaute, konnte ich nur gute Miene zum bösen Spiel machen. All die Jahre lang war es mir nie gelungen, mich ihm gegenüber schäbig zu benehmen, wenn ich mich vor ihm befand. Ich hatte es immer hinter seinem Rücken getan. Von vorne mußte ich lächeln, von hinten konnte ich stoßen.

Ich beschloß, nicht länger zu warten. Es würde unser letzter Spaziergang sein. Ich würde ihm diesen Stoß geben. Er würde über das Geländer fallen, und während er im Wasser kämpfte, würde ich aus vollem Hals um Hilfe rufen. Niemand würde mich verdächtigen. Immer waren Boris und ich Freunde, und ich hätte kein Motiv. Den Rest meines Lebens würde Boris darin keine Rolle mehr spielen.

Der Tag des Spaziergangs war ein sonniger Frühlingstag. Ein schöner Tag für Boris' Abgang. Bei diesem Gedanken mußte ich schmunzeln. Zuerst schlenderten wir das Ufer entlang. Dann kamen wir zu der Brücke mit dem gefährlich niedrigen Geländer. Ich wußte, daß ich es tun könnte. Ich würde ein ganz klein wenig hinter ihm bleiben und ihm einen Schubs geben. Er würde hinunterstürzen, und die Sache wäre erledigt. Armer alter Boris, mein lieber Freund Boris, den ich mit aller Kraft haßte.

Als ich zurückblieb und schon bereit war zuzustoßen, drehte sich Boris um. Er wollte etwas in seinem dummen Monolog besonders hervorheben. Ich hörte nicht zu. Ich hatte nur Mord im Sinn. Plötzlich öffnete sich sein Mund ganz weit, seine Augen traten hervor, er winkte mit den Händen. Er schwankte einen Augenblick lang, dann stürzte er über das Geländer und fiel hinunter wie eine Puppe. Er landete auf seinem Rücken. Es gab einen lauten Platsch! Wieso hatte er nicht kopfüber ins Wasser stürzen können? Wieso mußte er seinen Blick direkt auf mich richten? Seine Augen flehten genauso wie seine heisere Stimme. Er schrie und gurgelte. Ich konnte seinem Blick nicht entrinnen. Es gab keine andere Möglichkeit, ich mußte ins Wasser.

Übersetzt aus dem Englischen von Hermine Grossinger

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