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Digital In Arbeit

Mit jemandem reden können

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„Notrufdiensf - Telefonseelsorge“, meldet sich eine Helferin am Apparat. Ein Mann erzählt bedrückt, seine Frau sei gestorben, er stehe allein da, ohne Verwandte, ohne Freunde. Sein einziger Trost sei der Alkohol. Die Helferin sagt ein paar verständnisvolle Worte. Er faßt sich und berichtet aus seinem Leben, von’■seinen Schicksalsschlägen, seiner selbstverschuldeten Einsamkeit.

Die Frau am Telefon gibt zu erkennen, daß sie zuhört. Es ist ein gemeinsames Gehen aus einem trostlos gewordenen Leben in eine Zukunft mit Hoffnung.

Was hab ich falsch gemacht? Wo geht der richtige Weg? „Was kann ich tun, geben Sie mir einen Rat.’11 - Diese Frage wird immer wieder gestellt.

Die Frau am Telefon hat kein Patentrezept bereit. Die Schmerzen des Su- chens und der Entscheidung können dem Anrufer nicht erspart werden. Am Ende des Gesprächs bedankt sich der Anrufer fürs Zuhören und bittet, ob er sie wieder sprechen könne. Unter dem Namen: „Frau Anni“ - ihr Arbeitsname - könne er sie erfragen. Sie würde gern wieder von ihm hören.

Nach wenigen Minuten kommt ein neues Telefonzeichen. Die Helferin hört nur heftiges Schluchzen. Nach ei

ner kleinen Weile fragt die Mitarbeiterin: „Sie sind völlig verzweifelt? …“ Stockend spricht die Anruferin: Sie wisse nicht ein noch aus, sie habe das Gefühl, alles falsch gemacht zu haben. Eben sei ihr Mann im Zorn aus dem Haus gelaufen. Nun sitze sie am Wochenende allein zu Hause.

Die ganze Sinnlosigkeit ihres Lebens komme ihr nun so richtig zu Bewußtsein. Sie ertrage dieses Leben nicht mehr und möchte nun ein Ende machen. Nichts als geschuftet habe sie, um ihre Familie zufriedenzustellen. „Doch sie haben kein anderes Interesse an mir, als daß mein Geschäft gut geht. Wie es mir geht, was ich denke, darüber will niemand mit mir sprechen.“

„Haben Sie keinen Kontakt zu ihrer Tochter, zu ihrem Sohn?“ Mit der Tochter verstehe sie sich nicht, und der Sohn habe ja doch nur seine Honda im Kopf. Die Mitarbeiterin vom Notrufdienst fragt, ob sie sich früher manchmal mit ihrem Mann und den Kindern zusammengesetzt oder mit ihnen gemeinsam etwas unternommen habe. - Dazu hätte sie nie Zeit gehabt, für sie gab’s nur Arbeit. Erstmals könne sie jetzt über ihr Leben sprechen, berichtet die Geschäftsfrau. ^

Die Helferin ist immer an ihrer Seite. Die verzweifelte Frau spürt, hier geht jemand mit ihr, sie ist nicht mehr allein.

Wenn so ein Gespräch eine Stunde oder auch länger dauert, wie oft mag nicht ein Helfer still gebetet haben: „Herr, hilf Du, ich kann nur Dein Werkzeug sein!“

Auch da, wo menschlich gesehen, eine Not vielleicht nicht behoben werden kann, und die Grenzen der Möglichkeiten erreicht sind, wird der Helfer am Telefon nicht aufgeben. Lösungen werden keine angeboten. Wichtig ist nur, daß jemand zuhört. Den Weg, der nur sein Weg ist, muß der Anrufer selbst finden, der Helfer kann ihn nur begleiten.

Weil der Anrufer anonym bleiben kann, bekommt er nicht das Gefühl, sich jemandem auszuliefern. Er kann anrufen und abbrechen, wie es ihm beliebt.

Ein halbes Jahr Einschulung und ununterbrochene Weiterbildung sind für die Mitarbeiter erforderlich, nur Mittler soll er sein, daß der Geist wirken kann bis in die Tiefen eines ausweglosen Lebens.

Namen und Geschehnisse wurden aus Gründen der Diskretion verändert.

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