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Mühsame Versöhnung

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Die italienischen Touristen haben zwar schon seit langem Wien entdeckt und Italien ist noch immer ein beliebtes Urlaubsland für Österreicher -das Verhältnis der beiden Staaten zueinander aber ist nicht so ausgezeichnet. Es wurde zum Beispiel zurecht als Besonderheit gewürdigt, daß in der vergangenen Woche der italienische Präsident Oscar Luigi Scalfaro Österreich einen Staatsbesuch abstattete: Es war der erste seit der Gründung des italienischen Staates in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die gute Nachbarschaft zwischen Italien und Österreich war vor allem durch das Südtirol-Problem belastet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg forderten österreichische Politiker das Selbstbestimmungsrecht für die Südtiroler. Eine Volksabstimmung sollte durchgeführt werden, und bei der Pariser Friedenskonferenz im Sommer 1946 verlangte die österreichische Delegation die Rückgliederung des Pustertales mit dem Verkehrsknotenpunkt Brixen an Österreich. Sehr bald aber stellte sich heraus, daß solche Forderungen unrealistisch waren, daß Südtirol für die Großmächte nur „Kleingeld im Länderschacher” war, wie das der damalige Außenminister Karl Gruber ausdrückte. Im September 1946 wurde das sogenannte Gruber-de Gasperi-Abkommen abgeschlossen, das den Südtirolern Autonomie bringen sollte. Diese Vertragsintention wurde von den Italienern unterlaufen, indem sie die Provinz Bozen mit Trient verein nigten:

Als sich Ende der fünfziger Jahre herausstellte, daß alle Bemühungen, bilateral mit Rom zu einer Einigung zu kommen, zum Scheitern verurteilt waren, brachte Österreich das Südtirol-Problem vor die UNO. Gleichzeitig kam es Anfang der sechziger Jahre zu einer Welle von Bombenanschlägen, die sich vor allem gegen Hochspannungsmasten richteten. Im Dezember 1963 begann in Mailand ein Prozeß gegen einige der Attentäter. Hauptangeklagter war der damals 52jährige Sepp Kerschbaumer, Vater von sechs Kindern, Ge-mischtwarenhändler und Obstbauer aus Frangart bei Eppan. Die Angeklagten wurden in Ketten in den Gerichtssaal gebracht. Ich erinnere mich noch, wie merkwürdig es mich berührte, daß die Freunde und Verwandten der Angeklagten im Wirtshaus während des Mittagessens eine Karte an den deutschen Kanzler Erhard schickten.

Mit vielen kleinen Schritten, mit Augenmaß und mit Geduld ist es schließlich gelungen, den Südtirolern auf politischem Wege zu ihrer Autonomie zu verhelfen: ein Musterbeispiel, wie ethnische Probleme friedlich gelöst werden können - und wie mühsam Versöhnung ist.

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