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Nachschrei

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Natürlich war das Begräbnis ganz, ganz feierlich, die Lueger-Gedächtniskirche schaurig schön, und alle Redner schienen Dich wirklich zu meinen, Dich und das, was Du für jeden einzelnen von ihnen warst, Friedrich Heer. Für Sekunden bekam das „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“ eine ganz konkrete Bedeutung für mich, als ich meine Augen an Deinem Sarg festklammerte, um die aufsteigende Angst vor Deinem Nicht-mehr-da-Sein wegzudenken. Sie rühmen sie in der Tat, die Himmel, wenn so einer wie Du ihnen dabei hilft.

Es ist sehr feierlich, Dein Begräbnis, Fritz, sehr erschütternd und sehr konzentriert, und draußen gleißt ein unwirklich schöner Herbsttag. Laß uns die Feierlichkeit ein bißchen stören und schwätzen, nein miteinander reden, so, wie wir es oft beim Stiegengeländer im Burgtheater getan haben, wo aus dem ,JSchwatz“ immer, aber auch immer, ein Gespräch wurde, über dem ich auch hin und wieder einen Probenbeginn versäumte — mit dem besten Gewissen der Welt übrigens.

Ich weiß nicht mehr genau, worüber wir im einzelnen gesprochen haben, Du ans Geländer gelehnt und ich zum Schluß meistens auf den Stufen hockend. Vorübergehende haben uns nicht gestört, Dich schon gar nicht, wenn Du ins Reden kamst, Deine nicht enden wollenden Satzbögen bautest, einzelne Worte wie faule Stellen aus einem Apfel herausgeschält hast aus der Gedankenmasse und die Freude über eine Wortfindung, die Dir geglückt erschien, Dich dieses Wort drei- oder viermal hat aussprechen, ausstoßen lassen.

Drei- oder viermal wurde es gewogen und dann erst für nicht zu leicht befunden. Diese Gespräche endeten meistens mit meinem „Oh Gott, ich muß rennen“ und mit Deinem mir nachgerufenen ,JZomm doch einmal!“

Ich bin nicht gekommen. Oder viel zu wenig oft. Dieses Eingeständnis meiner gedankenlosen Trägheit, reizend verpackt in das Armutszeugnis von uns allen, die ßuperverdrängungsausre- de: keine Zeit. Darf ich Dir’s nachschreien, wie obszön ich dieses Versäumnis finde?!

Ubers Jahr, wenn alle, alle Nachrufe schon längst eingestampft sein werden, möchte ich hinüberschreien: Fritz, ich habe gerade ein Buch von Dir ausgelesen, mir ist heller im Kopf als vorher, mir ist auch heller im Herzen, Du bist überhaupt nicht fort.

Die Freude am Anderssein des Anderen wäre zu erben.

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