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Protokolle

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„Hitlers letzte Tage“, hieß eine der ersten Untersuchungen eines britischen Historikers, der gleichzeitig Geheimdienstoffizier war und ganz ähnlieh klang seine Augenzeugendarstellung eines deutschen Offiziers, nämlich Gerhard Boldt, der die „letzten Tage in der Reichskanzlei“ als Ordonnanzoffizier mitmachte. Diese beiden Untersuchungen wurden verhältnismäßig spät ergänzt, von russischer Seite durch ein 1968 auch In deutscher Sprache erschienenes Buch, das sich auf Dokumente aus Moskauer Archiven stützt und den Titel „Der Tod des Adolf Hitler“ trägt. Der Verfasser Lew Besymenski konnte als erster Journalist die von der Sowjetregierung lange Zeit geheimgehaltenen vollständigen Obduktionsprotokolle jenes Ärzteteams einsehen, das als Sonderkommission der Roten Armee die Obduktion der Leichenreste Hitlers und seiner Gattin vornahm und gleichzeitig die übrigen Leichen, der in der Reichskanzlei durch Selbstmord geendeten Persönlichkeiten des Dritten Reiches obduzierte.

Das vorliegende Werk, geschrieben von zwei Verfassern, einem deutschen Historiker und Journalisten und einem amerikanischen Journalisten, der bei Kriegsende Offizier war und sich lange Zeit auch im Arbeitsstab von General Clay in Berlin betätigte, ist ein Beweis, daß es immer noch neue Quellen und Möglichkeiten gibt, in einem schon so stark durchackerten Gebiet Zeitgeschichte zu spüren. Die beiden Verfasser, die übrigens auf die Form der Darstellung sorgfältigen Wert legten, haben über die ob-zitierten Werke hinaus durch Einvernahme zahlreicher Augenzeugen vom militärischen Verteidiger der Reichskanzlei bis zum Elektrome-chaniker, der bis zum letzten Moment seine Dieselaggregate und Apparaturen beaufsichtigte, unzählige Aussagen erhalten. Damit ergibt sich eine Reihe von neuen Aspekten vor allem über den Selbstmord Hitlers selbst, der sich von einem seiner vertrauten Ärzte über die Methode unterrichten ließ, ferner über die rätselhafte Flucht Bormanns, der nun nach den Recherchen der beiden Verfasser wahrscheinlich durch Selbstmord geendet haben dürfte.

Darüber hinaus ist es gelungen, verschiedene Personen und ihre Handlungen besser zu profilitieren und eine Reihe von neuen Tatsachen festzustellen. Da ist zunächst Hitlers Flugkapitän Baur, der den beiden Verfassern zugab, daß die Fluchtmöglichkeit technisch für Langstrecken vorbereitet war, jedoch an der starren Weigerung Hitlers, Berlin zu verlassen, scheiterte. Auch die Rolle des Verteidigers der Reichskanzlei, des SS-Brigadeführers Mohnke, wird nun richtig bewertet als rein militärisch unlösbare Aufgabe, die Mohnke übernahm mit dem Wissen, daß der Untergang bevorstand. Menschlich erscheint auch das Bild von Eva Braun immer mehr zu gewinnen, die trotz der Aufforderung Hitlers, den Bunker zu verlassen, wissend um den Untergang, bis zum Ende blieb.

Besonders interessant ist aber das Forschungsergebnis im Fall des SS-Verbindungsoffiziers Walter Fegelein, des Quasi-Schwagers Hitlers. Nahm man bisher an, daß sein Ende durch Erschießung durch eine Intrige Bormanns hervorgerufen wurde, so stellt sich jetzt überraschenderweise heraus, daß die Entfernung Fegeleins aus der Reichskanzlei sowie seine Fluchtvorbereitung mit einer bisher unbekannten Tatsache zusammenhingen. In den letzten Monaten vor dem Ende in Berlin waren Vorgänge aus der Reichskanzlei und aus dem innersten Kreis um Hitler im britischen Soldatensender Calais berichtet worden. Mit Fegelein gemeinsam wurde eine Angehörige des Diplomatischen Korps verhaftet, die schon lange im Verdacht stand, eine Agentin zu sein. Diese Umstände und die Meldung von Radio Stockholm vom 28. April über die Kapitulationsversuche Himmlers, führten zu dem Todesurteil gegen Fegelein, der mit der Schwester Eva Brauns erst vor wenigen Monaten in Salzburg eine glanzvolle Hochzeit gefeiert hatte. Auch die Rolle des Chefs der Gestapo, Müller, und nicht zuletzt das Ende des Botschafters Hewel, der Ribbentrop bei Hitler vertrat, konnten geklärt werden.

Dramatisch ist der Abschluß nach der allgemeinen Selbstmordserie der großen Führenden: Den völligen Wegfall der Gewalt des Diktators, die Lockerung der Disziplin, die Flucht aus der Reichskanzlei und die Besetzung durch die russischen Truppen, die zunächst keine Ahnung hatten, wo Hitler und Goebbels geendet hatten, das erfährt man aus dem Munde einfacher Menschen wie des schon zitierten Elektrikers, der als erster einem Verhör unterzogen wurde. Auch die technischen Details der Verteidigung, die Möglichkeiten, bis zum letzten Moment noch mit den bereits weit von Berlin kämpfenden Wehrmachtsteilen in Verbindung zu bleiben, werden hier geklärt und erweisen, wie wenig man auf den totalen Fall der Reichshauptstadt vorbereitet war. Der Titel trifft jedenfalls völlig zu. In einer Katakombe endete das Dritte Reich.

DIE KATAKOMBE. Das Ende in der Reichskanzlei. Von James P. O'Donnell, Uwe Bahnsen. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, 1975, 436 Seiten.

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