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Schachtelsätze
Der Schüler der dritten Gymnasialklasse Alois Czeczowicza, Sohn des gleichnamigen Zollbeamten und selber bereits in den Windeln der Beamtenlaufbahn vorbestimmt, kam von der Zeugnisverteilung zum Mittagessen nach Haus.
„Vater“, sagte der Knabe, „darf ich in dieser vorgerückten Stunde dem Gefühle Ausdruck geben, zu speisen zu wünschen …?“
„Essen willst?“ meinte der Vater.
„Der Gedanke, dem Du Ausdruck verleihst, weckt in meinem Herzen ein frohes Echo“, entgeg- nete der Sohn.
„Also hast kan Hunger?“
„Im Gegensatz zu der von Dir in diesem schicksalsschweren Augenblick ergangenen Äußerung möchte ich auf den Umstand hin- weisen dürfen, daß ich seit dem Frühstück mich nicht in der Lage finden konnte, Genuß- und Lebensmittel, sei es welcher Art im mer, mir zuführen zu können…“
„Wennst kan Hunger hast, kann i Di net zwingen …“
„Abweichend von dem aus Deiner Entgegnung an Tag tretenden Standpunkt, doch im Herzen eines Sinnes in der Bereitschaft, die Vorbereitungen zu dem uns vereinenden Mahl als solche anzusehen, die jeden einzelnen und insbesondere mich selber in meiner Eigenschaft als Sohn des Hauses betreffen, gebe ich der Zuversicht Ausdruck, es mögen die Schranken des Mißverständnisses, die bisher in unserem Gedankenaustausch obwalteten, fallen und einer Einmütigkeit des Denkens und Handelns Platz machen, durch die es mir in Hinkunft vergönnt sei, die Suppe zu mir nehmen zu können…“
„An Zwang gibt’s bei uns net…“
Der Suppentopf ging an Jung Aloisens Äug’ vorüber. Der Schüler biß sich in die Lippen, aber er redete nichts, er konnte der künf-r tigen Amtswürde kein Opfer abringen. Außerdem nagte an ihm ein peinliches Gefühl: in dem Se- mestral-Zeugnis, das er gefaltet in der Tasche trug, war die Deutsch-Note: nichtgenügend.
Von der lastenden Erwartung bekam er Leibschmerzen.
„Vater“, sagte er, „ich möchte dem mich zutiefst erfüllenden Wunsche Ausdruck verleihen, hinaus zu dürfen …“ „Ausdrucken willst Di?“ „Getragen von der Erwägung.“ „Du, mir scheint: drucken willst Di!… Zeig’s Zeugnis!“ „Welchem Wunsche gibst Du Ausdruck?“
„Den Abdruck von meiner Hand wirst gleich im G’sicht haben …“
„Unbeirrt durch die gerade auch jetzt wieder wie so oft schon zu wiederholten Malen vergeblich %ich aufdrängenden …“
Da hatte er sie sitzen. Eine ganze Weile lang hörte man später nur die Worte durchs Haus heulen: „Ausdruck … im vollen Umfang … Tragweite…“ - sie wurden übertönt durch das Niederklatschen eines Rohrstabs auf unedle Körperteile…
Aus: HANS NEBBICH IM GLUCK. Von Anton Kuh. Diogenes Verlag, Zürich 1987. 287 Seiten, öS 154,40.
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