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Typisch männlich!

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Die Schubladen von Biedermeierkommoden bestehen eigensinnig auf ihrem Recht, vom Menschen beidhändig aufgezogen zu werden. Den frischgebügelten Smokinganzug über den linken Arm geworfen, schwarze Masche und Strümpfe über die Schulter, die Lackschuhe in der Hand, versuchte der Hausherr vergebens, nun mit der Rechten allein das dazugehörige festliche Hemd aus der Kommocte zu holen.

Kräftig zog er am rechten Haken, worauf sich die Lade heillos verspießte, dann drückte er mit dem linken Knie dagegen, worauf ihm Krawatte und Strümpfe von der Schulter rutschten, schließ-v lieh griff er verbissen mit zwei Fingern der schuhbelasteten Linken nach, er rüttelte und ärgerte sich furchtbar — und die Kommode, gegenüber einem solchen Ansturm doch zu schwach, öffnete nun ihr Inneres, nicht ohne daß eine schmale Vase umgefallen wäre und einen länglichen Teich über das Deckchen ergossen hätte. Was verschlug's? Das Hemd wurde der Lade entrissen, dann aUes Gewandzeug eilends im Ankleideraum auf ein Möbel geworfen, ein Tuch mit spitzen Fingern herbeigeschleppt und die nasse Bescherung aufgewischt — als die Gattin aus dem Nebenzimmer dazukam und angesichts der bewiesenen Tapsigkeit nur philosophisch äußerte: „Typisch männlich!“

Typisch männlich war es wohl auch, daß der Gatte gelegentlich nach Tisch Teller, Schüsseln, Bestecke, Salzfässer, Brotkörbe und so weiter aufeinandertürmte, um sie im Vollgefühl seiner Nützlichkeit in der Küche zu deponieren. Das ging hundertmal gut, aber beim hundertundersten Male stürzte sich ein Kognakglas von oben selbstmörderisch herunter, der Gatte suchte es aufzufangen, erhaschte es auch in der Luft, aber dabei kam der gesamte Aufbau ins Wanken - und was weiter geschah, wollen wir lieber mit Schweigen verhüllen.

Du machst dir das Leben viel zu schwer“, mahnte vergebens die Gattin den tüchtigen Mann, aber er konnte nicht einsehen, weshalb er fünf Handgriffe machen solle, wo doch ein einziger — und schneller - den gleichen Erfolg zeitigte. So sah man ihn auf einem Bein balancieren, um mit dem andern die Türschnalle zu öffnen, weü seine Hände in Vollbeschäftigung unabkömmlich waren. Er hätte etwas abstellen, hinlegen, ein zweites Mal holen müssen — darüber jedoch war nicht mit ihm zu reden. Sein praktisch veranlagter Geist war nicht zu überzeugen. Typisch männlich — und*was wäre typisch weiblich gewesen?

Uber gewisse grundsätzliche Unterschiede dem praktischen Leben ^gegenüber zerbrach sich einmal'ein Bildbericht den Kopf. Da wurde der Mann photogra-phiert, der sein Zündholz absolut durch Hin- und Herschwenken ablöschen wollte, während die Dame es einfach ausblies, oder die Methode gezeigt, wie Männer umständlich aus einem Rollkragenpullover zu kommen trachten, während die Partnerin geschmeidig herausschlüpft.

Wer ein wenig aufmerksam ist, kann viele solcher sekundärer Geschlechtsmerkmale feststellen, zum Beispiel beim Niederbeugen. Hebt ein Mann eine Nadel vom Boden auf, so knickt er die Knie ab, die Frau aber winkelt sich in der Leibesmitte ab. Sie hat auch die spektakuläre Fähigkeit, im

Bett mit durchgedrückten Knien zu sitzen (versuch's mal einer!), und wer den beiden etwas in den Schoß wirft, der sieht den Mann blitzschnell die Knie schließen, die Frau aber sie öffnen. Dies wohl, weil sie im allgemeinen mit einem Rock bekleidet ist - sie tut's aber auch, wenn sie in Blue jeans den Ball auffangen soll.

Auch beim Eieressen gibt es Besonderheiten, der eine köpft, der andre beklopft, welcher welches, muß der Experte erst herausbekommen. Den Mann, der eine Kopfbürste im Boudoir bei ihrem

Stiel anpackt, wenn ihm gestattet worden ist, damit über sein Haar zu fahren, muß die Schöpfung noch hervorbringen. Er greift nämlich die Rückfläche mit ganzer, großer Hand.

Nun fragt es sich, was mit diesen Unterschieden eigentlich ausgedrückt wird. Eine Bequemlichkeit der Frau, eine vernünftigere Einteilung, ein Sichübernehmen des Mannes? Verstand gegen Haus verstand? Also intellektuelle Überlegungen gegen manuelles Wissen? Das ist nicht leicht zu entscheiden, die Gründe mögen noch so sehr auf der Hand liegen, sie liegen doch tiefer. Sie sind wohl auch darin zu suchen, daß bei den beiden Geschlechtern eben alles so wunderbar verschieden ist, sogar die Knöpfe an den Mänteln. Bei alier Verwandtschaft herrscht ein spannungsgeladener Grad von Diskordanz, von dem aus die eheliche Aufgabe „Ihr sollt ein Leib sein“ ganz neue Aspekte erhält. Eins in zwei und zwei in eins.

Die brisante Atmosphäre immer wieder zu konstatieren macht Vergnügen. Und eben nicht nur bei den deutlichen Unterscheidungen, die jedermann ins Gesicht springen. Und natürlich bei den geistigen, über die aber schon genug gesagt worden ist. Man soll als Mann, das möge aber doch ausgesprochen werden, die weibliche Alogik teils belustigt, teils ergriffen einbeziehen. Im tieferen Grund ist sie nämlich „sehr vernünftig“: Das Wort kommt ja von „vernehmen“, und welches reiche Quellenraunen vernehmen nicht die Damen!

Der feiner Differenzierende wird seine Freude an der Gleichheit finden, die bei näherem Hinsehen in Andersartigkeit zerstäubt. Den Regisseuren mancher Oper und manchen Verwechslungsspiels möchte man die Fähigkeit zu genauer Beobachtung mitunter recht heftig wünschen, etwa, wenn der Rosenkavalier, von einer Dame gesungen, sich als Dame verkleidet und nun, obwohl eine Dame eine Dame ist, aber keine sein soll oder doch nur eine spielen soll. Beliebtes Stilmittel, auf dem Theater aus einer Dame einen Mann zu machen — und fast das einzige -, sind großspurige Schritte und gespreiztes Stehen mit Säbelbeinen — beides keineswegs wirklich Merkmale des Mannes, keines so charakteristisch wie das Zündholzausschwenken, aber grob und damit populär verständlich. Hier könnte mancher Regisseur sein wirkliches Können beweisen.

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