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Ungarn benötigt Reinigung"

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„Wir träumen, daß Ungarn ein christliches Ungarn ist - es war ein christliches Ungarn." Kritisch und ohne Illusionen, zugleich aber engagiert und mit Perspektiven für die Zukunft sprach der Budapester Weih- bischof Asz-trik Värszegi, Ge- neralsekretär der ungarischen Bischofskonferenz, jüngst in Wien zum Thema „Gesellschaft und Kirche in Ungarn heute". Veranstalter waren das von Wissenschaftsminister Erhard Busek initiierte „Colloquium Mitteleuropa" und das „Bil- dungszentrum IX".

Värszegi, Benediktiner aus der berühmten Erzabtei Pan- nonhalma, ließ keinen Zweifel daran, daß den Katholiken heute viel Qualität und Quan- tität - auch beim Priesternach- wuchs - fehlen. Von 10,5 Mil- lionen Ungarn seien knapp über sieben Millionen „katho- lisch suspekt" (Eltern oder Großeltern waren noch ge- tauft), vier bis fünf Millionen kommen zu besonderen Anläs- sen (Weihnachten, Ostern) in die Kirche, die Zahl der akti- ven Katholiken betrage etwa eine Million. Für die Zukunft der ungarischen Kirche werde entscheidend sein, ob Priester und Episkopat den Weg zur Intelligenz finden.

„Der Mensch ist kaputtge- schlagen worden", resümierte der Bischof über die vergange- nen Jahrzehnte, heute könne man die negativen „Endergeb- nisse" sehen. Sie reichen bis zur Wahlmüdigkeit aufgrund von „politischer Unreife" und eines „Chaos in den Köpfen". Die Hoffnung auf eine rasche Bes- serung der Zustände habe sich nicht erfüllt, auch die Kirche müsse be- scheidener werden und erkennen, daß die vor einem Jahr noch beste- henden großen Träume (wie Eröff- nung neuer Schulen und Kranken- häuser) sich nicht so rasch verwirk- lichen lassen werden.

Rückblickend übte Värszegi deut- liche Kritik am Verhalten der Kir- che während der kommunistischen Herrschaft. Der Episkopat habe sich vor jeder Entscheidung gefragt: „Was sagt dazu das staatliche Kir- chenamt?" Bischöfe hätten sich kompromittiert, auch die vatikani- sche Ostpolitik dieser Zeit sei nicht nur positiv zu sehen.

In einer Gesprächrunde nach dem Vortrag meinte Värszegi, die Hal- tung der Kirche der Tschechoslo- wakei gegenüber dem Staat sei vorbildlicher gewesen und höher zu bewerten. Auch bei der Ausein- andersetzung der Kirchenleitung mit dem Kreis um den Piaristenpa- ter György Bulanyi, Begründer der „Bokor"-Basisgemeinden, sei es zunächst um „reine Politik" gegan- gen, erst später auch um theologi- sche Probleme.

„Neuevangelisierung" dürfe, so Värszegi, keine leere Parole werden. Die Kirche müsse eine Kontrastgesellschaft aufzeigen, sonst habe sie keine Zukunft. Heute seien sowohl Erwartun- gen in die Kirche als auch Angst vor der Kirche vorhanden. Die Kirche müsse neu ins Bewußt- sein rufen, was ihr eigentliches Wesen ist: keine „Machtkirche" zu sein, sondern wie Jesus An- gebote des Heils zu machen. Es gehe im Sinne des Zweiten Va- tikanischen Konzils um eine dialogfähige Kirche, um den Communio-Gedanken, um le- bendige, in die Gesellschaft ausstrahlende Gemeinden.

Ungarns Kirche und Gesell- schaft bedürften einer „Purifi- kation", einer Reinigung, er- klärte Värszegi und plädierte für eine Aufarbeitung der Ver- gangenheit im Geist der Ver- söhnung und der Sündenverge- bung, ein Tradieren von „Erb- sünden" sei gefährlich. Die Kirche sollte hier gegen Natio- nalismen und ohne Feindbilder ein positives Beispiel für die Ge- sellschaft leisten.

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